Wednesday, July 11, 2007

AUFFÄLLIGE TRENDS NACH BALKAN-, POLEN- & KLEZMER-FESTIVAL: ROCK & EGO-STIL

Polens Contemporary Noise Quintet in Wien: es steht für die vielen Jungen, die vom Rock in den Jazz dringen und ihn auffrischen. Bandleader Kuba Kapsa (3.v.li.) macht den Stil obendrein eigen. (Foto © Elfi Oberhuber)


WAS HABEN DANIEL KAHN UND BILLY COBHAM GEMEINSAM? - DIE EINZIGARTIGKEIT.
WAS TEILEN DIE 17 HIPPIES und PINK FREUD? - DIE ROCK-VERBINDUNG ZUR JUGENDUNTERHALTUNG: TECHNO & POP.
WAS IST DAS ABSOLUT NEUE IM JAZZ, EGAL OB KLEZMER, POLNISCH ODER BALKAN? - DER ROCK: DENN IMMER MEHR EHEMALIGE JUNGE ROCKER FINDEN ZUM JAZZ!


Nach den in Wien durchlaufenen Festivals der Balkanmusik Balkanfever von 20.4.-12.5., der polnischen Kunst und Kultur umpolen von 19.4.-28.5., sowie der Klezmermusik 4th KlezMore vom 25.6.-8.7.2007, will der eifrige Besucher und Worldmusik-Fan für die nächste Weile eigentlich nichts mehr von diesen Musikrichtungen wissen, da er schlichtweg übersättigt ist. Der Grund: die Einschlägigkeit der Stilrichtung sowie das massive akustische Überfluten binnen kurzer Zeit stumpft ab, selbst wenn die Programme und meisten Musiker innerhalb ihrer Richtung genreübergreifend extrem vielfältig sind, diese absoluten Spitzenmusiker mitunter bis zu sechs Instrumente spielen. Mehr kann ein Musiker nicht leisten.

Die Lust nach dieser Musik kommt aber ganz schnell zurück, hört man die Gruppen einzeln quer durch alle drei Festivals und Genres hindurch. (Wie Sie das können, erfahren Sie unter diesem Bericht.) Und verblüffender Weise kommt man dabei wieder auf einen gemeinsamen Nenner, der für einen starken Eindruck verantwortlich ist: den neuerdings massiv eingesetzten Rock - der sowohl im Klezmer-, Balkan- als auch Polenjazz in Abgrenzung zu Pop und Elektronik etwas eigenständig Pures ergibt. Selbst wenn jene Musiker und Gruppen, die sich fern ab von alledem ihren einzigartigen Stil erarbeitet haben, insgesamt noch einmal die größeren Virtuosen sind. Doch weder Eigenständigkeit, noch Rock müssen zwangsläufig größte Könnerschaft bedingen - auch wenn sie es oft tun.

DIE (PIANISTEN-)KÖNNER MIT EIGENEM BALKAN-KLANG

Mit ihrer Eigenheit für ganz "bestimmte Stimmungen" gut, sind im Bereich Balkanmusik: der klassisch-internationale Jazzer aus Bulgarien Milcho Leviev - er kann es mit den West-Jazzern Don Ellis, Billy Cobham, Manhattan Transfer und Al Jarreau aufnehmen, bei denen er Piano spielte und komponierte, wobei er auch "gepflegten Bulgarien-Jazz" im akademischen Repertoire hält. Er ist somit, wie alle heurigen Balkanmusiker mit eigenem Klang, tatsächlich auch ein technischer "Könner".
Genau wie Sängerin Maja Osojnik, die mit unglaublich vielen Farben und Stilen das kulturelle Mischmasch Sloweniens repräsentiert und dabei noch französischen Chanson und Volkslieder einflechtet. Stets weiss sie mit einem Song eine Geschichte zu erzählen, wie etwa, dass der "Tod krumme Wimpern" habe, um den die Erben schleichen, "doch wenn die Güter erst mal verbraucht sind, kommt vielleicht doch die Erinnerung an den Toten zurück". Osojnik ist im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar spannend, wobei der außergewöhnlich gute Klavierspieler Philipp Jagschitz ihre Band noch einmal aufwertet.
Den dritten atemberaubenden Balkan-Pianisten bzw. Keyboard-Spieler stellt der noch nicht einmal zwanzig-jährige Roma aus Wien, Adrian Gaspar, dar. Er ist Leader der im Klang türkisch gefärbten Truppe Laco Tayfa Connection Vienna und beherrscht von echter Klassik, Jazz bis Oriental jede Stilrichtung perfekt.

19 Jahre und spielt Piano wie ein Genie und mit viel eigenem Profil: Der Wiener Roma Adrian Gaspar

DIE THEATRAL-SCHMERZLICHEN KLEZMER-KÖNNER

Von sehr schönem, wehmütig-schmerzlichem Klang an Streichern und Zupfern einer Fünf-Frauen-Band aus Tsimbl (jüdisches Hackbrett), zwei Violinen, Cello und Kontrabaß ist die niederländische Gruppe Di Fidl-Kapelye. Sie deckt nicht das beschwingte, glückliche Lebensgefühl jiddischer Fidel-Musik ab, sondern die betont melancholische Seite authentisch-osteuropäisch-jüdischer Musik. Im heurigen Klezmerfestival ragt sie mit diesem bis zur Kammermusik starken Klang sehr eigenständig hervor, selbst wenn er archetypisch bekannt ist.
Zum Verfremdungsklezmer in musikalischem Sinne erster Güte neigt dagegen das argentinische Lerner Y Moguilevsky Duo, bei dem der Klezmer nur noch als Hauch vorkommt, in einer Musik, die eher der zeitgenössischen Klassik zuzuordnen ist.
Und den Verfremdungsklezmer in Brechtschem Schauspiel-Sinne liefert Daniel Kahn mit seiner US-Berliner-Band The Painted Bird, worin er Kurt-Weill-Lieder neu interpretiert und jiddisch intensiviert. - Mehr über diese absolut besten zwei Konzerte steht in intimacy: art / CRITIC ...

Ein unverwechselbarer, theatraler Klezmer-Musiker und -Schauspieler: Detroiter Daniel Kahn und seine Band The Painted Bird. (Foto © Pierre Kamin)

VOM ETHNOPOP-UND-ELEKTRONIK-JAZZ ZUM ROCK-UND-PUNK-JAZZ

Geht man davon aus, dass Techno für die Jugend seit den 90-ern in Sachen Freizeit und Unterhaltung darstellt, was R´n´B und Pop in den 80-ern waren, dann sind dem als Balkan-gefärbtes Techno das rumänische Shukar Collective zuzuordnen - Urban Gypsy heißt nicht nur seine CD, sondern ist auch sein Roma-Breakbeat-Sample-Drum-&-Base-Sound -, und als Balkan-gefärbten Pop: Star Goran Bregovic & His Wedding And Funeral Orchestra. Diese Unterhaltungsbands haben nur kurzfristig ihren Reiz, die Neugierde an ihrer doch recht einfachen Mainstream-Musik ist trotz unverkennbarem Profil nach drei-viermaligem Anhören gestillt.

Pop-Star Balkans: Goran Bregovic - dreimal gehört, lässt er kaum mehr Platz für Neugierde

17 HIPPIES AUS DEUTSCHLAND - ALS ÜBERGANG VOM POP(-KLEZMER) ZUM ROCK-JAZZ
Außergewöhnlicher und vielfältiger ist da schon der Ethno-Pop mit französischem Chanson, britischem Schlager und Berliner Schnorre der deutschen 17 Hippies, deren Rhythmik neben Klezmer auch mal Cha-Cha-Cha beinhalten kann, und die mit 13 Musikern schon ein kleines Pop-Orchester ergeben. Mit Berlin-typisch anarchischem Flair, das sich aus dem unbefangenen Gebrauch mit osteuropäischer, amerikanischer und französischer Traditionsmusik ergibt, fangen sie die unbeschwerte Stimmung der Jugend ein, die frei, neugierig und offen für alles ist. Und das, obwohl es die Band schon 12 Jahre gibt. Fünf Sänger/innen, die alle mehrere Instrumente spielen, wechseln sich im Lead-Gesang ab, was zusätzliche Abwechslung bringt. (Ausführliche Kritik auf: intimacy: art/CRITIC)

Pop-Rock-Klezmer aus Berlin: Die 17 Hippies mit Bandleader Christopher Blenkinsop und Lüül im rockigen Barden-Battle

PINK FREUD AUS POLEN - ALS ÜBERGANG VOM TECHNO ZUM ROCK-JAZZ
Die seit 1998 existierende, polnische Gruppe Pink Freud aus Danzig delektiert sich weniger an Pop als an Elektromusik in Drum&Bass und Jungle, mit starkem Punk-Charakter, und sie findet auch rockend zum Jazz - speziell mittels Vibraphone, Trompete, Schlagzeug und Bassgitarre. Auffällig für die junge Jazz-Generation, die von Rock und Techno kommt, ist der "Kollaps" in den einzelnen Nummern, der geplante Zusammenbruch der Musik. Pink Freud pflegt das atmosphärisch zwischen Samples und Loop durchgehend, als permanente Mystik, die über dem Sound liegt. Innerhalb dessen gibt es ins Ganze verpackte, theatral-lyrische Passagen, wo die einzelnen Musiker zeigen, was in ihrem Innersten steckt. Eine Art "Trance-Jazz-Dance". - Außergewöhnlich sind die obligatorischen Konzert-Soli eines jeden Musikers, die nicht wie sonst als mühsame Endlosexperimente irgendwie eingeschoben werden, sondern organisch in die Lied-Nummern eingebettet sind. Denn die einzelnen, sich von einander sehr unterscheidenden Nummern erzählen Geschichten aus Tönen, die zu multidimensionalen Klanglandschaften von Reaggea bis Rock mit Echo auswachsen. Man könnte auch Alternative-Elektrojazz dazu sagen, der sich manchmal nach "Albtraum" anhört. Eine ziemlich psychodelische Jugendphantasie also, aber mit Stil.

Elektro-Rock-Jazz aus Polen: Pink Freud ist eine der expermentierfreudigen Jungen und im Vergleich am ausgereiftesten

POLEN-JAZZ-ROCKER CONTEMPORARY NOISE QUINTET

Techno ist im Polen-Jazz in der Musikerjugend generell weit verbreitet, und Pink Freud ist darin die interessanteste und ausgereifteste Band. Die eigenständigste, mit tatsächlich individuellem Klang ist allerdings Contemporary Noise Quintet. Auch wenn die Kompositionen mit epochalen Harmonien, Wiederholungen, rhythmischem Groove eigentlich ganz einfach sind, vielleicht sogar technisch schwächer als Pink Freud. Dennoch, es ist außergewöhnlich, wie diese Musik einfährt. Dass der energetische Klang eigentlich vom Klavier kommt, das hier ausnahmsweise meistens wie Rock - als rhythmischer Tonangeber - gespielt wird, ist die kleine Sensation dabei. Das kommt daher, weil Co-Gründer (neben Bruder und Schlagzeuger Bartek Kapsa), Bandleader und Piano- bzw. Melodica-Spieler Kuba Kapsa, der außerdem Komponist der Songs ist, ursprünglich Bass-Gitarrist und Sänger der Heavy-Metal-Rockgruppe Something Like Elvis war.

Die Band Contemporary Noise Quintet klassifiziert sich selbst zwischen Jazz, Thrash und Punk, nennt seine Einflüsse aber Steve Reich, Ennio Morricone, Polnischen Jazz, Ingmar Bergman sowie Frank Zappa - was diese Musik viel besser charakterisiert. Einerseits spielt sich mit jedem umgemein spannenden und schönen Anfang eines jeden Liedes eine archetypisch-generationenübergreifende, epochale Atmosphäre eines Mafiafilmes ab, was sich dann aber hinsichtlich "komischem" Titel (Goodbye Monster, Army of the Sun, Even Cats Dream About Flying) in weitere geistige Filmszenen zwischen Science Fiction, Liebes- und Psychodrama verläuft. Meist sorgt das Klavier für den ersten Eindruck, die Bläser (Trompete, Posaune, Saxophon, neben dem Double-Bassisten von Musikern gespielt, die sonst eher klassischen Jazz spielen) für die elegische Archaik - indem sie langgezogene Töne über Tonleitern hinweg geradezu durch den Rhythmus "plärren". "Eleganz mit Punk-Energie" beschreibt den Sound sehr treffend, wobei jede Nummer erstklassig produziert und gemischt ist. - Weshalb das Debutalbum 2006 Pig Inside The Gentleman auch zur meistgespelten Nummer 1 im polnischen Jazz-Radio wurde. Dazwischen erstaunen, eingebaute Klavier-, Bass- und Elektrogitarren-Solos (hervorragend: Kamil Pater!) ob ihrer ungemeinen Rock-Klasse oder jazzig-vituosen Erzählkraft, wo es dann schon auch mal "schwieriger" werden kann. Ein wenig infantil wirkt nur der Kollaps, den diese Gruppe nun wirklich als Höhepunkt beinahe in jedem Titel auslebt, und wo nach völligem Stillstand die Melodie gereinigt wieder einsetzt. - Dennoch eine spannende Neuheit mit großem Zukunftspotential!

Rock-Jazz mit einem archaisch-epochalen Filmklang, den man noch nirgends gehört hat: Contempory Noise Quintet aus Polen

BALKAN-JAZZ-ROCKER BACE QUARTET & ARABEL KARAJAN & RAMBO AMADEUS

Der Rocker des Balkans in Reinkultur stellt der Belgrader Rambo Amadeus dar: mit seiner Elektrogitarre verarscht er zwischen Rock, Punk, Funk, Elektronik, Rap und Ethno weniger die Musik - denn die beherrscht er meisterhaft -, als die Gesellschaft. Zwischen Mother-Fucker und Polemiker gegen Primitivlinge und Balkanmachos, die er zugleich verkörpert und ironisiert, ist er der geborene Showman der Anarchie. Sein Sprechgesang bei verzerrten Samples ist ein Statement. Er frotzelt das Publikum, indem er Nummern anspielt und plötzlich damit aufhört. Der Mann ist absolut nicht gesellschaftsfähig und deshalb "in".

Die meisten Balkan-Jazz-Rock-Musiker sind ansonsten wegen ihrer Spielweise rockig. Auffallend ist, dass sie meist aus Bulgarien kommen oder in (mehreren) bulgarischen Bands spielen: Da wäre zunächst (Elektro)gitarrist Ateshkhan Yusseinov, der sensationell schnell und doch mit tiefer Seele rockt. Er bepfefferte heuer Ivo Papasov & Zig Zag Trio, sowie Atesh Khan Tayfa & Darinka Tsekova.
Dann ist da der bulgarische Elektro-Bassist Vesselin Vesselinov Eko, der Milcho Leviev begleitete, der an sich festes Mitglied von Arabel Karajans The Please Shut Up Band ist - wobei die percussionierende und singende Tochter des weltberühmten Herbert von Karajan nun auch mit ihrer Jazzband absolut dem Rock zuzuordnen ist, und zwar als profilstarke, ungezogen-unberechenbare Sache für sich. Die Bandleaderin pendelt zwischen Nina Hagen, Prince, Hubert von Goisern und Ozzy Osbourne - letzteren beiden widmet sie im Konzert Tributes. Sie singt flüsternd-funky von Wiener Würschterln (mit Jodler) im Dialekt, dem obligatorischen "Mother-Fucker-Witch" und davon, dass Rock´n´Roll eben nicht - wie allseits behauptet - out sei. Und wenn sie etwas von ihrem Vater als Orchesterdirigent übernommen hat, dann ist das der Luxus, für wenig und nur subtil vorkommende Geräusch- und Sounddetails Bandmitglieder zu engagieren. Das ergibt einerseits das Salz in der Suppe, andererseits den Luxus in der Verpackung. - Wesentlich sind die expressiven, ebenso rockigen Bandmitglieder: Bassist Georges Donchev und Trompeter Rosen Zachariev. Und eben Vesselinov-Eko, der der Karajan mit seinem sprechenden Körper beinahe die Show stiehlt - abgesehen davon, dass er gut spielt. Der Sound ist insgesamt durch viel Syntheziser aufgemotzt, und das aber keinesfalls "billig".

E-Bassist Vesselin Vesselinov-Eko ist der Prototyp eines Rockgitarristen: Beim Ethno-Rock-Jazz von Arabel Karajan ...

... heizen sie sich gegenseitig an: etwas zwischen Nina Hagen, Hubert von Goisern und Bulgarien-Rock-Jazz.

Die anspruchsvoll-geschmackvollste und ausgewogenste Band in Sachen Balkan-Rock-Jazz war heuer jedoch sicher Bace Quartet, dessen Bandmitglieder aus Mazedonien, Libanon, Serbien und Bulgarien den gepflegten Stil aus Paris - wo die beiden Percussionisten Aleksandar Petrov und Bachar Khalife leben - eingeflochten haben. Die Percussion erstreckt sich über balkanische Trommeln wie Tappan, Vibraphon, Darbuka, Req und Cajon. Die eigentlichen Rocker der Band sind "Hirtenflötist" Theodosii Spassov mit seiner Kaval, sowie Vasil Hadzimanov an Klavier und Keyboards, womit er unter anderem Gitarrensound simuliert. Hier pflegt man das Anschwellen und Schneller-Werden der Rhythmen, sodass es zu einer psychodelischen Science-Fiction-Erzählung ausufern kann. Einschübe folkloristischer Lieder lockern den Durchlauf zwischendurch auf. Highlight des Konzerts (bzw. der starken CD) ist die Nummer Guerre propre, worin die Flöte eine Psychoreise durchmacht, um im Punk-Jazz und Zusammenbruch seinen Exzess zu erleben und sich im Refrain erleichternd wieder zu erholen. - Absolut feinster Ost-West-Jazz-Rock!

Das Bace Quartet macht feinsten West-Ost-Rock-Jazz, mit erkennbarer Paris-Note: dank der Köpfe der Band: die Percussionisten Aleksandar Petrov und Bachar Khalife ...

... und Kaval-Spieler Theodosii Spassov und am Keyboard: Vasil Hadzimanov.

KLEZMER-JAZZ-ROCKER ALEX KONTOROVICH

Es wäre ein Wunder (oder auch ein Jammer), würden die Klezmer-Musiker, den Rock nicht immer hinter die Folklore stellen. So verleiht bei den Bands Nayekhovichi aus Rußland und Nifty´s aus Österreich die Elektrogitarre - ob verfremdet oder verstärkt - der Musik nur punktuelle Noten auf lyrische, erzählerische oder hard-rockige Weise. Mit einer extrem spannenden Ausnahme:
Der in Russland geborene in New York lebende Klarinettist und Saxophonist Alex Kontorovich pflegt in seinem Quartett Deep Minor viele Genre und Farben (insbesondere durch das wandelbare E-Gitarren-Banjo-Balaleika-Mandolinen-Spiel von Brandon Seabrock) in Form von Überschneidungen zwischen Folkore, Jazz und Klezmer. Doch rockt er erst mal, dann ordentlich: ob Kontorovich selbst - bei typisch teppichhaften Jazz-Drums - harte, zügellose Einsätze schmeißt, oder ob die besagte E-Gitarre das Geschehen antreibt. Wenn das Jiddische denn verrockt ist, dann elektrisiert das wie schärfster Hard-Rock. - Dauerzusammenbruch vielleicht, auf jeden Fall aber: spannend.














Saxophonist Alex Kontorovich war der absolut stärkste Rock-Klezmer-Musiker des heurigen Klezmore-Festivals.



Zum Nachhören des Klezmer-Festivals click: http://emap.fm/klezmore.html

Zum Nachhören des Balkan-Festivals click: http://emap.fm/balkanfever.html

KUBA KAPSA von der polnischen Jazz-Rock-Gruppe Contemporary Noise Quintet im Gespräch mit ELFI OBERHUBER: auf intimacy: art / talks /politics


KONZERT Daniel Kahn & The Painted Bird * Special Guest: Geoff Berner / Emigrantski Raggamuffin Kollektiv: Rotfront / DJ Yuriy Gurzhy * Im Rahmen des Akkordeonfestivals * Ort: WUK Saal * Zeit: 1.3.2008: 20h (Einlaß 19h)
KONZERT LERNER Y MOGUILEVSKY DUO * Im Rahmen des Akkordeonfestivals * Ort: Szene Wien * Zeit: 4.3.2008: 20h

MUSIK Orfeo di Bregovic * Goran Bregovic und seine Wedding And Funeral Band * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 25.1.2008: 19h30
MUSIK Ljubinka Jokic & Yok! - Die Jugo-Soul Stimme Vom Gaußplatz * Roma-Chansons und E-Gitarre, Geige, Programmieren und Rockstimme * Ort: Sargfabrik * Zeit: 31.1.2008: 20h

Thursday, July 05, 2007

JÖRG KALT UND "HIAS" BRINGEN SICH UM, WÄHREND FRANCOIS OZON UND EMANUELE CRIALESE ZUR ROMANTIK FINDEN

Nicht-Selbstmordkandidat François Ozon ist, notwendigerweise für diese Zeit, ein hoffnungsvoller Romantiker: im Film Angel, der dennoch nicht seicht ist.


DREI STEINBOCK-GEBORENE UND EIN SKORPION-GEBORENER BEGINGEN SELBSTMORD. ALS INTUITIVE WESEN FÜHLEN DIE SKORPIONE DIE KRANKHEIT UNSERER ZEIT, ALS LOGISCHE REALISTEN GEBEN SICH DIE STEINBÖCKE IHR HIN, DOCH SIND SIE KÜNSTLERISCH UND PERSÖNLICH NICHTS ALS FOLGE DES MODISCHEN ZEITGEISTS. DABEI IST DIE DEPRESSION IN DER KUNST LÄNGST OUT. FRANKREICH, ITALIEN UND GROSSBRITANNIEN ZELEBRIEREN ROMANTIK, WIE IN DEN FILMEN GOLDEN DOOR UND ANGEL - IN WIEN HERRSCHT NOCH INZEST-DEPRESSION. LEIDER.

Das ist nicht die Zeit des Steinbocks. Oder: Es ist die Zeit des Todestriebes im theater- und filmschaffenden Steinbock. Nach Marie Zimmermann und Georg Staudacher, ist mit Jörg Kalt (11.1.1967- 1.7.2007) binnen kürzester Zeit der dritte Steinbock frühzeitig und trotz Daueraufträge (Kalt arbeitete gerade an den zwei Projekten: Tiere, Zum Essen) aus dem Leben gegangen. Nun ist die ganze Kunstgeschichte voller Selbstmorde, und zwar nicht nur thematisch innerhalb der Kunst, sondern auch biografisch seitens Künstler.

Als Kunstthema macht es Sinn, da es die ausweichlose Konsequenz eines falschen, aufgezwungenen Systems aufzeigt, das der Betrachter in seinem echten Leben bereinigen soll, damit dieser Tod "eben nicht" sein muss. Und blickt man auf Künstlerbiografien von Selbstmördern, ist deren Tod ebenfalls meist Antwort auf das System, in dem sie sich bewegen: auf das des Kriegs oder soziale bzw. künstlerische Ablehnung seitens Gesellschaft.

In diesem Zusammenhang ist auch der hoch musikalische Akkordeonvirtuose Matthias Mayer, bekannt als "Hias" zu sehen (3.11.1950-7.7.2007 = Skorpion), der sich in seiner steirischen Wohnung vor einem Hias-Nostalgie-Auftritt auf einer Landbühne umbrachte. Nach über zehn Jahren als Komiker-Star des Musikantenstadl tingelte er die letzten Jahre nur mehr selten und wenig beachtet umher, wobei er eigentlich der klassischen Volksmusik zugeneigt war, dafür aber keine Auftritt-Gelegenheit fand. - Zudem hatte ihn 2005 privat seine Frau (sie haben vier erwachsene Töchter) nach 27 Jahren wegen eines anderen Mannes verlassen.

Generell stellt sich jedoch die Frage, ob unser System tatsächlich so krank ist, dass sich die Steinböcke, die äußerlich meist unauffällig auftreten, das Leben nehmen mußten?

DER SKORPION SPIELT MIT DEM TODESGEDANKEN, DER STEINBOCK LEBT IHN

Der Skorpion ist an-sich das "Todeszeichen", da er im Todesmonat November geboren ist, wo die Natur stirbt, aber schon Knospen für neues Werden bereit stellt. Der Steinbock im Dezember/Jänner hat die längsten Nächte des Jahres zu überstehen und kämpft in der winterlichen Finsternis um Licht, während in der Natur bei klirrender Kälte völlige Lebensstarre herrscht. Beide Wesen zeichnen sich daher durch extreme Beharrlichkeit aus, was sich auch gegenüber Werten und als Treue bemerkbar macht (in der Liebe zum Beispiel, wenn sie sich einmal für einen Partner entschieden haben).

Auch hoher Anspruch und Tiefgründigkeit sind Eigenschaften, die sie teilen, wobei der Skorpion sich stundenlang detektivisch mit Hintergründen zu beschäftigen liebt, um die gefundene Wahrheit dann heraus zu posaunen, egal ob sie von außen goutiert wird, der Steinbock dagegen gerne tiefgründig diskutiert, dabei zunächst aber eher den Widerpart bestätigt und seine echte Meinung erst kundtut, wenn er sich sicher fühlt. Denn der Skorpion ist prinzipiell selbstsicher, der Steinbock unsicher.

Der Skorpion ist gegenüber "nur" äußeren Strömungen nicht so anfällig, da er sich hauptsächlich innerlich und im Kopf auf Vergehen und Werden einstellt, indem er sich reflektierend immer wieder wandelt. Der Steínbock folgt als realistisches Zeichen, das geachtet und geliebt werden möchte, den Moden und Stimmungen, befindet sie als echt, gepaart mit hochmütiger Teilnahmslosigkeit, wohinter sich romantische Sehnsucht verbirgt. Ist beim gefühlvollen und nachdenklichen Wasserzeichen Skorpion der Tod (wie auch die Sexualität) also so lange ein mit Leidenschaft gepflegtes Spiel der Fantasie (als Kunst), solange er nicht tatsächlich in seinen Werten zutiefst enttäuscht wird, so gibt sich das materielle Erdzeichen Steinbock der scheinbar nackten Wahrheit starrköpfig - oder positiv formuliert - mit Leib und Seele völlig hin. - In Künstlern wie dem Steinbock-geborenen Tänzer Ismael Ivo, setzt diese Fähigkeit eine entsprechend kreative Kraft frei. Wahrscheinlich auch, weil er sie von kultureller Herkunft her, besser zu platzieren weiss.

Er ist ein Maler (Ire Michael Fassbender), der für seine Zeit zu düster malt, sie eine Schriftstellerin (Britin Romola Garai), die für prompten Erfolg kitschig-moralisch schreibt.

DER TOD LAUERT AUCH IN DER GESELLSCHAFT

Dabei lassen sich die Todesströmungen in der Gesellschaft derzeit kaum als sinnvoll erklären: jetzt, da sich Menschen (Ärzte im alltäglichen Umgang mit dem Tod) als Terroristen Allah opfern - sie opfern sich ohne greifbaren Grund. Und sich in Österreich (Europa) Künstler ohne echte Existenzgefährdung umbringen. Beinahe ist es ein Hohn gegenüber der vielen (KZ-)Opfer, die in Kriegszeiten umkamen, um die wir heute trauern. Heute wird Leben einfach weggeworfen, das für jene damals doch so wertvoll war. - Wie krank ist diese Gesellschaft also? Wieso handelt die junge Literatur als Seelenabbild der Jugend andauernd vom Freitod?

Warum wird auf den Kunstschulen zur "Spitze von Kunst" Lebenspessimismus erkoren und als Ideal vermittelt, sodass er dann zum Inhalt der jungen Kunstschaffenden wird? Doch nicht weil er aus ihrer innersten Sehnsucht heraus entsteht, sondern weil er zum Prinzip guter Kunst erklärt wird, was sich dann gezwungenermaßen auch auf das Lebensgefühl des Schaffenden auswirkt (dem es eigentlich ja gut geht). - Angeblich soll Jörg Kalt der dritte Wiener Filmakademiker in den letzten vier Jahren sein, der sich das Leben genommen hat.

Psychologisch läßt sich das nur dadurch erklären, dass ein "existenzielles Werk aus Prinzip" nicht mehr das persönliche Befreiungsgefühl nach der Schaffung zur Folge hat, sondern jenes des Pessimismus als unverrückbaren Ist-Zustand. Pessimismus aus Selbstzweck - wobei Jörg Kalts Filme (Richtung Zukunft durch die Nacht, Crash Test Dummies) aber noch humorvoller und raffinierter als viele andere waren, die von Wiener Filmemachern in Umlauf sind. Sodass sich die Bemerkung nicht verkneifen lässt: Bei einem Michael Haneke wirken diese Endzeitstimmungen echt und authentisch, während sie bei den Schülern als übernommene "Mode" im Zeitgefühl einer "In-zest-Community" daher kommen.

Die durch Kitsch erfolgreiche Künstlerin möchte den Kitsch auch im Leben leben - bis zu einem gewissen Grad schafft sie das..., solange ihr Mann mitspielt.

JÖRG KALT IST EINER DER SELBSTMÖRDER DER FILMAKADEMIE

Hinzu kommt die an-sich allseits gelebte Desillusion in Partnerschaften. Ausgerechnet Filmmacherin Barbara Albert, die mit Jörg Kalt vor längerer Zeit liiert war, meinte in einem Interview vor ihrem prämierten (!) Film Böse Zellen, der das Gefühl beängstigend-emotionaler Kälte verströmt: "Wir leben in einer Zeit, wo man versucht, "alles" im Wunschpartner zu finden. Ich selbst bin aber ziemlich realistisch und glaube nicht an die eine, große, romantische Liebe. Weil ich nicht mit dem Glauben daran aufgewachsen bin, meine Eltern das nicht lebten. So werden unterschiedliche Beziehungsformen als normal und auch gut so empfunden. Ich liebe viele oder keinen Menschen. Die Sexualität ist in Böse Zellen nur ein Ventil für einen Druck, der in dir ist, ein Versuch, sich an etwas zu klammern..."

Erschreckend ist bei solch herz- und glamourlosen Filmen, dass sie - selbst wenn sie die angebliche Realität beschreiben - genau diese Realität weiter bewerben, nicht etwa verneinen. Denn es scheint, als hätten die Zuschauer verlernt, sich eine gegenteilige Alternative ausdenken zu können. Sie können sich gar nicht mehr daran erinnern, was den Wert eines Lebens, einer Liebe ausmacht, wie dieser zu bewerkstelligen ist. - Es wäre somit an der Zeit, dass Künstler Werke als Vorschläge entwerfen, die keinen "realistischen Spiegel" darstellen, sondern Utopien der Hoffnung.

Der u.a. bei Paris geborene, in München und Zürich aufgewachsene, "heimatlose" Jörg Kalt, begklagte in seinen Filmen jedoch - trotz technisch-analytischem Zauber - nur den Stillstand der Wiener, der umso deutlicher durch enttäuschte Zuwanderer wird, sowie die Beziehungsunfähigkeit eines Pärchens, obwohl es eine zweite Liebeschance bekommt.

Ein Film über die Träume vom besseren Leben, wo es Riesengemüse gibt: in Amerika, die Golden Door des italienischen Regisseurs Emanuele Crialese.

FRANCOIS OZON ERWECKT IN ANGEL SCARLETT O´HARA

Junge, internationale Filmemacher denken schon um. Zwei Regisseure bringen demnächst atmosphärisch viel Poesie und damit Hoffnung, Schönheit und erkennbare Romantik nach Wien, wobei sie dennoch zeitgenössisch-relevant sind: Der 40-jährige François Ozon (ein Skorpion), der - im Stil zwischen Fassbinder und Almodovar - immer schon spielerisch-witzig und gefühlvoll von Tod, Sex und Frauen erzählt, wobei er Klischees der Homosexualität durch den Cacao ziehend zu verblüffend weisen Aussagen führt, oder die Homosexualität für ungewöhnliche, narrative Wendungen nutzt - hat mit Angel erstmals eine klassisch-heterosexuelle Liebesgeschichte zwischen einer Schriftstellerin - inspiriert von der historischen Marie Corelli - und einem Maler entworfen, obwohl nicht ganz klar ist, ob der für seine Zeit zu düstere und erfolglose Maler das - dank realitätsleugnendem Kitsch erfolgreiche - Mädchen nicht aus Geldgründen heiratet.

Dieser Maler begeht im Film ebenfalls irgendwann Selbstmord, und sie stirbt aus Enttäuschung. Das Thema der Vereinbarkeit und Anziehung zweier Künstler bei gegensätzlicher Ausübungsmotivation (Kommerzkunst versus authentisch gefühlte Protestkunst) bleibt so als relevante Frage übrig. Und das Gefühl, dass die Liebe dieser beiden Menschen zumindest phasenweise gewollt und erfüllt ist. Positiv ist darüber hinaus die britisch-französische Machart des Films, wozu die beiden glaubwürdig spielenden Schauspieler, Britin Romola Garai und Ire Michael Fassbender, beitragen. Der Film ist schlichtweg ein Plädoyer für das zu schaffende Glück, wobei genau gezeigt wird, wo die Probleme der Beziehung liegen, sodass sie der Zuseher für sich umgehen kann.

Der ungebildete, aber naiv schlaue Bauer und Familenvater aus dem armen Sizilien (Vincenzo Amato) bekommt obendrein noch ...

DIE ROMANTIK ALS NOTWENDIGE UTOPIE - JETZT - IN EMANUELE CRIALESES GOLDEN DOOR

Der 1965 in Sizilien geborene und in Rom aufgewachsene Italiener Emanuele Crialese, der in New York an der Tisch School of Arts studierte, hat indessen mit Golden Door einen archaisch-fabulösen Traum geschaffen, der mit surrealen Einschüben - wie Riesengemüse als Gedankenfantasie einer sizilianischen Familie, die nach Amerika auswandert - gleichzeitig die Atmosphäre eines einnehmenden Historienfilms ausstrahlt. Auf dem überführenden Schiff befindet sich eine geheimnisvolle, englische Lady (Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg: Charlotte Gainsbourg), die sich trotz ihrer hohen Bildung für den ungebildeten italienischen Familienvater und Bauer entscheidet. Im Land der tausend Möglichkeiten ist auch das möglich, selbst wenn vieles nicht möglich ist. - Was wieder die kritische Note ausmacht und den Film vor dem Kitsch rettet. Auf jeden Fall ist er prinzipiell zuversichtlich, was sich wohl auch positiv auf das echte Lebensgefühl des Regisseurs auswirken wird.

... die geheimnisvolle Engländerin (Charlotte Gainsbourg) zur Frau, um die sich die feinen Herren an Board reißen: Träume werden also tatsächlich wahr, wenn man sie nur will!


Film: Golden Door * Regie: Emanuele Crialese * Mit: Charlotte Gainsbourg, Vincenzo Amato, Aurora Quattrocchi, Francesco Casisa, Filippo Pucillo, Federica de Cola, Isabella Ragonese, Vincent Schiavelli, u.a. * Italien/Frankreich 2006 * 118 Min * Kinostart: 13.7.2007

Film: Angel * Regie: Francois Ozon * Mit: Romola Garai, Charlotte Rampling, Lucy Russel, Michael Fassbender, Sam Neill, u.a. * UK/Belgien/Frankreich 2007 * 134 Min * Kinostart: 10. August 07

Monday, July 02, 2007

IN MEMORIAM GEORG STAUDACHER (20.1.1965 - 30.6.2007) ...

Aus Das Offene Fenster oder Von der Abwesenheit von Martin Heckmanns.


... DEN IMMER JUNGEN MANN,


DEN SPORTLER UND ZWEIFLER,
DEN MICHEL-HOUELLEBECQ-VEREHRER,
DEN KÄMPFER GEGEN "RIESEN UND GEGEN SICH SELBST" (Ch. Friedl),
DEN NESTROY-PREISTRÄGER (Cafe Tamagotchi 2001),
DEN REGISSEUR (Franzobels Die Nase),
DEN SCHAUSPIELER,

DER "VERUNGLÜCKT" IST (APA, Rabenhof Theater),
DER "AUS DEM FENSTER GEFALLEN" IST (OÖN)

DEN LETZTEN "AUS-DEM-FENSTER-FALLER",
DER AUF intimacy: art ERWÄHNUNG FINDET,

DA WIR NACH DEM LEBEN GIEREN,
DA WIR DEN TOD,
UNS SELBST RESPEKTIEREN,


WIDER MODEN UND ZEITGEIST
ES ROMANTISCH,
ORIGINELL FINDEN

ZU LEBEN,

DIE SONNE ZU SPÜREN,
UNSEREN BEITRAG ZU LEISTEN
AN DIESEM LEBEN

DAS TATSÄCHLICH
ERSTRAHLT

DURCH UNSER ZUTUN
ERSTRAHLT.
e.o.




In diesem Sinne folgende Zitate aus
Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren
von Martin Heckmanns: