Monday, May 28, 2007

EXTREME KUNST IST OFT GENIAL, EXTREMES LEBEN BRUTAL - SHAKESPEARE, CHEN ZHEN, ALFREDO BARSUGLIA

Die machtgierige Macbeth-Gattin (Heike Kretschmer) manipuliert ihren Mann zum blutrünstigen Despoten (Foto: © Nathalie Bauer/Volkstheater)


SHAKESPEARE´S "ENTWEDER-LEBEN-ODER-TOD" IN DEN HISTORIENSTÜCKEN UND "DAS DAZWISCHEN" IN DEN KOMÖDIEN. - DIE KONTRASTE ZWISCHEN HOCH UND TIEF, OBERFLÄCHLICH UND INNIG SIND MOMENTAN AUFFÄLLIG OFT IN DER KUNST ANZUTREFFEN - WIE MARIE ZIMMERMANN, EVA DICHAND, CHEN ZHEN, ALFREDO BARSUGLIA, UND UNSER ALLER LEBENSZIEL DAVON ABZULEITEN SIND


Weinen oder Lachen,
Qualität oder Mittelmaß,
Intensität oder Oberfläche,
Nachdenken oder Tun,
Geist oder Körper,
Kunst oder Event,
Marie Zimmermann oder Eva Dichand,
Tod oder Leben,
Entweder - Oder.
Kontrast.
Leidenschaft.

Dieser Tage ist man versucht, über die Kontrastparameter und damit den Sinn der menschlichen Existenz nachzudenken. Ein Dazwischen scheint es nicht zu geben. Es nimmt seinen Anfang bei Shakespeare und endet in der Bildenden Kunst bei Chen Zhen und Alfredo Barsuglia. "Extrem" schreits von überall her.

EVA DICHAND UND HEUTE ALS SYNONYM FÜR ANSPRUCHSLOSE KOMÖDIEN

Auf dem Weg zur grundsätzlichen Frage also, "wie bringe ich mein Leben hinüber, sodass ich am Ende sagen kann, ich bin nicht oberflächlich gewesen, habe mit Qualität gelebt und bin trotzdem nicht übergeschnappt", kreuzt Krone-Schwiegertochter-Ehefrau und U-Bahnzeitung - Heute - Herausgeberin Eva Dichand im mitternächtlichen Fernsehen des Dösenden geistige Umnachtung. Sie sagt: "Irgendwann würde ich noch gern eine Qualitätszeitung machen, jetzt mache ich Geld".

Spräche diese menschliche Hülle mit dem doch so hoffnungsvollen Vornamen nichts, wollte das Auge des Halbschlafes dank der Anhäufung an optischer Überdurchschnittlichkeit eine musische Gestalt ausmachen. Es würde gerne ausblenden, dass sie die verbalen Ergüsse entstellen. Worte, die das leibhaftiggewordene Boulevard offenbaren. Ihr Sinn hat sich in Gebaren und Sein der Frau festgefressen. Die Idee vom Qualitätsblatt kann also nur eine Ausrede sein, um den Respekt vor der eigenen, eitelkeitsdurchtränkten Würde nicht zu verlieren; denn die Alltagspraxis hat diese Person schon längst eingeholt. Fehlgeleitet durch die Unsitte österreichischer Pressemacht, mit dem "Medienmanagerpreis" ausgezeichnet worden zu sein.

Eva Dichand ist ein Mensch, der nicht täglich ums Überleben kämpft. Und auf der anderen Seite tut sie es doch: Sie muss das Terrain, das sie geprägt hat, konsequent weiter prägen. Durch sichtlich gewohnte kleingeistige Debatten und entsprechende Entscheidungen ohne philosophische Tragweite. Hier zeigt sich der ganz gewöhnliche Alltagskampf um die Materie, der vom Wesen seiner Verteidiger Besitz nimmt. Äußerlich schick und gestylt, innerlich vortäuschend ganz normal "geblieben". Ebenso gewöhnlich kann man dem aber entgegen halten: Geld macht den Menschen noch lange nicht reich. Das Tauschmittel, das die größte Variable an Projektionspotential für Besitz darstellt. Es müßte daher wie ein Kunstwerk behandelt werden. Das Werk "Geldanhäufung" müßte sich hinsichtlich Ästhetik, Innenleben, Entstehungsverlauf und gesellschaftlicher Verantwortung rechtfertigen lassen. L´Argent pour l`Argent ist insofern genauso dekadent wie L´Art pour l´Art. Und um nichts weiteres handelt es sich, wenn Zeitungen gratis wie Anzeigenprospekte verteilt werden, was sie im Grunde nur sind. Sie häufen ausschließlich Geld in Warenab- und Medienumsatz an. Genauso gut könnte man den redaktionellen Weissraum nur mit Witzen, mit Bildern oder überhaupt mit Leere füllen. Das käme aber wahrscheinlich zu wahr, um für den Leser als Selbstinszenierung noch schön zu sein. Er tut lieber so, als würde er "Nachrichten =Inhalte" lesen (, die keine sind).

Summasummarum steht Eva Dichand mit ihrem Erscheinungsbild und Produkt für das untere Mittelmaß, die Oberfläche, das Event und somit für das Lachen über die traurig-absurden Schicksale anderer. Genauso wie die klassische "Komödie". Gelängen unsere "medialen Komödien" auf eine Ebene, wie sie Shakespeare in seinen volksnahen Komödien erreichte, hätten wir als Bürger des 21. Jahrhunderts immerhin das Niveau des gesellschaftlichen Mittelstandes des 16. Jahrhunderts erreicht. Dass Shakespeare dabei noch anspruchsvoller war, als wir ihn heute auf deutschsprachigen Bühnen kennen, wo die neuzeitlichen Übersetzungen seiner Stücke von der altenglischen Hochsprache und damit vom echten Shakespeare-Witz hinsichtlich Wortschatz und -erfindungsreichtum weit abrücken, sei großzügiger Weise einmal außer Acht gelassen.

VIEL LÄRM UM NICHTS
- SHAKESPEARES KOMÖDIEN ALS BOULEVARD - GRADMESSER


Die Burgtheater-Version Viel Lärm um Nichts unter der Regie von Jan Bosse mit den zynischen Wortgefechten zwischen dem anfangs liebesfernen Benedict (umwerfend: Joachim Meyerhoff) und der widerstrebenden, geistig hochstehenden Beatrice (umwerfend: Christiane von Poelnitz) ist als Neufassung auch so beste Unterhaltung. Es gibt nichts charmanteres als wenn der egozentrisch-arrogante "Meyerhoff" mit losen Zotteln vor dem menschlichen Drang der Vereinigung kapituliert und nach 180-Grad-Gesinnungswechsel, mit Dauerwelle aufgeputzt, konstatiert: "Sie wird mich lieben. Und ich werde sie meinerseits ganz fürchterlich zurück lieben." Das, nachdem er sie sich - des Stolzes beraubt und zur "Frau" zurchtgestutzt - gestehend vorstellt: "Ich will mit Dir in einem Haus leben und für dich kochen." Selbst Unter-der-Gürtellinie-Sager, die nicht von Shakespeare stammen können, wie "Auch in einer alten Hose kann man noch eine große Gurke finden" will man als Zuschauer mit heiterem Zeitkompromiß begegnen, denn überspitzte Weissagungen und Handlungsinterpretationen gleichen das wieder aus, wie: "Bist du traurig, heirate eine Frau, irgendeine." Und da man in unseren Breiten ja auch kein Adelsgeschlecht mehr hat, ist es auch schlüssig, dass die Verwechslungsszene statt des Maskenballs auf einem grotesken Woodoo-Tanz-Event stattfindet. - So wird das Stück alles in allem also zum perfekt zynischen Abbild unseres gesellschaftsästhetischen Durchschnittsniveaus von Heute (Heute), das wohl heißt: "Back to the roots, as where we are!"

Benedict (Joachim Meyerhoff) und Berenice (Christiane von Poelnitz) streiten in Shakespeares Viel Lärm um nichts hart auf hart: also mit sehr viel Erotik (Foto © Georg Soulek/Burgtheater)

MACBETH - SHAKESPEARES HISTORIENSTÜCKE ALS EXTREME DURCH GUT UND BÖSE

Shakespeare wäre zu den Spitzfindigkeiten in seinen niveauvollen Komödien wahrscheinlich aber nicht in der Lage gewesen, hätte er zwischendurch nicht auch ernste Historienstücke verfaßt, die bereits als überlieferte "Geschichts"dokumente vorhanden waren. Seine Leistung liegt darin, die psychologischen Charaktere in Monologen und Dialogen expressiv zum Leben erweckt und transparent gemacht zu haben. Kein anderer schälte "gut und böse" in extremerer Form heraus. - Und dennoch hob es sich insgesamt am Ende auf, indem sich die Hauptfigur meist im Laufe ihres Lebens durch die korrumpierende Macht wandelt. Wie hoch das sprachliche Niveau des Ur-Shakespeare außerdem war, lässt sich ausnahmsweise der textoriginalen Volkstheater-Inszenierung Macbeth von Nuran David Calis entnehmen, einem Regisseur, der das Zeug zum ganz großen internationalen Star hat. Denn er "erlebt" seine Regie, und das ohne Hemmungen, aber dennoch mit Stil.

Seine Umsetzung ist von einer Archaik und gleichzeitig von einer Heutigkeit, wie man sie in Wien nur sehr selten findet. Und doch gerät das Stück wegen seiner Länge von fast drei Stunden und ausgerechnet wegen der kunstvollen Sprache an die Grenzen des Rezeptionsvermögens des heutigen Publikums. Woran es sich im Verlauf aber bewußt orientieren kann, sind die expressiven Bilder, die Calis archetypisch symbolreich und abermals kontrastreich aufzuladen versteht.

Durch Farb-Metaphern, wenn etwa der König (heißungsvoll gespielt von Rainer Frieb) seinen weißbemalten umstürzlerischen Mörder Macbeth im Glauben an dessen "reine" Loyalität an sich drückt, sodass die weiße Farbe auf ihn abfärbt. Ebenso wird das weiße Kleid der anfangs noch liebenden Lady Macbeth rot. Blutrot wie es die Morde sind, zu denen sie ihren immer blutrünstiger werdenden Mann anstachelt. Mit dem Höhepunkt am Schluß, dass die mordbegleitete Machtgier auch ehemalige Kriegskameraden befällt. Die Spirale des Bösen nimmnt somit ihren Lauf, wenn der Keim des Systems einmal böse angefangen hat.

Für den König (Rainer Frieb) ist Macbeth (Till Firit) zuerst noch eine Vertrauensperson, doch seine reine, weiße Haut färbt ab, wenn er ihn berührt. Des Königs tölpelhafter, am Ende größenwahnsinniger Sohn (Peter Becker) ist eifersüchtig. (Fotos: © Nathalie Bauer /Volstheater)
Macbeth (Till Firit) mit seinen Kriegskameraden (Thomas Kamper, Thomas Bauer), die später ebenso von Mord und Machtgier erfaßt werden, wie er: Das Blut zeigts.
Lady Macbeths Kleid ist nach dem Mord am König so blutbespritzt wie Macbeths Hände.
DIE NICHT-EGOZENTRE LIEBE UND SENSIBLE WAHRNEHMUNG ALS ZIEL

Emotional noch stärker wirkt die Interpretation durch die Besetzung des Macbeth durch Till Firit mit einer an-sich fragilen Ausstrahlung. Dass er sich aus Liebe manipulieren läßt, wird umso ausdrücklicher, selbst wenn er für die Leidenschaftskämpfe mit seiner Frau mehr als nur Manns genug ist. Der Satz des Literaturtheoretikers Jan Philipp Reemtsma zu den Macbeths als "innigstem Paar" Shakespeares, "das zu einem öffentlichen Unglück wird, weil es dem privaten Unglück zu entkommen trachtet", trifft diese Darstellung also exakt. Macbeth Till Firit hat dennoch bis zu seinem Tod die Aura des Opfers, während Heike Kretschmer als seine Gattin konsequent machthungrig scheint, als würde sie sich permanent dazu ermahnen, die Harte in ihrer Beziehung spielen zu müssen. Und doch kommt da die Ahnung von einer Utopie von Macht auf, die nur solange reizvoll ist, solange man sie nicht bestiegen hat. - Die gewissenhaft befragenden Selbsterkennungs- und Vorwurfsszenen sind in diesem akustisch-mitreißenden Krimi-Science-Fiction-Theaterepos von einer grenzüberschreitenden und körperlichen Intensität, wie man sie sich von dem Stoff nur erhoffen kann. Sodass man sich am Ende sagt: doch lieber gut sein als schlecht, doch lieber weniger berechnend lieben, den Partner als ihn selbst zu schätzen versuchen, also kurz: die Liebe nicht aus persönlichem Minderwertigkeitskomplex zum gesellschaftlichen Aufstieg mißbrauchen! - Selbst wenn es ein Ziel der Partnerschaft sein wird, für die Nachkommen gemeinsam eine "gewisse Qualität" an Lebensbasis aufzubauen.

Die Liebe zwischen Lady (Heike Kretschmer) und Sir Macbeth (Till Firit) wird immer leidenschaftlicher und gewaltbereit "roter" - da sie einander nicht als Mensch, sondern aus Ehrgeiz sehen.
Macbeth kurz bevor er auf seinem glücklosen Thron stirbt, um den sich sogleich andere Mörder streiten.

WENN SENSIBLE WAHRNEHMUNG IM TOD ENDET: MARIE ZIMMERMANN

Diese Qualität sowie Akzeptanz und Erkennen des Partners als er selbst, lässt sich daran schulen, wie jemand die Dinge überhaupt wahrnimmt, inwieweit er dazu bereit ist, sich aktiv und ernsthaft auseinander zu setzen. Das betrifft den Künstler wie den Zuseher. Und doch scheinen gerade jene Schaffenden, die sich bis an die Grenzen der Universalität zu befassen und auszudrücken vermögen, am eigenen Anspruch zugrunde zu gehen. Das zeigt sich aktuell und krass am Beispiel der Schauspiel-Direktorin der Wiener Festwochen Marie Zimmermann, die sich das Leben nahm, kurz bevor die Wiener Festwochen 2007 starteten. Der Zeitpunkt war von ihr - ob nun bewußt inszenatorisch oder nicht - so "gut" gewählt, dass sich der Zuschauer automatisch in den von ihr programmierten Stücken zwischen Leben und Tod mit ihrer persönlichen "Antwort" darauf zu beschäftigen beginnt. Und wieder sind es die Shakespeare-Zugänge, die dazu am meisten reizen:

LEMI PONIFASIO´S "SHAKESPEARE" -TEMPEST - STURM

Der Neuseeländer Lemi Ponifasio versetzt Shakespeares Sturm in den Kampf ums Inselrecht der Maori. Hier tanzt man selbstbewußt in ritueller Sprache: mit Zunge und expressiven Gesten (samt Tätowierung). (Fotos: © Armin Bardel/ Wiener Festwochen)

Während nun in Lemi Ponifasios Tempest - Sturm aufmüpfige Maori-Ureinwohner in Neuseeland um ihre Grundrechte und Souveränität im eigenen Land gegen die Kolonialmacht sprechen, singen und tanzen, sodass von Shakespeare tatsächlich nur noch die menschliche "Expression" und das Symbol "Insel" bzw. "Kampf um die Macht darauf" übrig bleibt, fragt man sich notgedrungen, warum jemand, dem das Leben vergleichsweise wohlwollend und privilegiert begegnete - und er sich dessen auch bewußt sein mußte -, dieses Leben einfach wegzuwerfen wagt. Eigentlich hätte die Theaterfachfrau Zimmermann in diesem Angesicht in dankbarer Demut verharren und weiterleben müssen. Im Augenblick des Stillstands, der Zäsur, dem sturmreichen Anhalten der Zeit, klagt das beschriebene Schicksal des politischen algerischen Flüchtlings Ahmed Zaoui, der in Neuseeland ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert wurde, die prinzipiell willkürliche Vorgehensweise der Engländer auf ihrer Insel an. Darauf folgt der im ganzen Gesicht tätowierte, politisch Lautstärkste der Insel, Maori Tame Iti in drei Sprechgesängen vom Raub seiner Identität, da er schon als Kind zu einem fremden Bewußtsein gezwungen worden sei. Zuerst trägt er noch einen schwarzen, westlichen Anzug. Dass er barfuß ist, zeugt jedoch sofort für Protest und Rebellion. In Ponifasios typisch expressivem Spotlight im schwarzen Raum huschen immer wieder rituell-stilisierte Trippeltänzer umher. Die Aufführung ist letztlich mit Filmeinspielungen aus Neuseeland, die die Ureinwohner neben den bewachenden Kolonialherren zeigen, nicht nur inhaltlich eindrucksvoll und expressiv, sondern auch formal. Und gerade das zeigt, dass es im aktiven Leben wohl lebenserhaltend und qualitativ bereichernd ist, wenn man weiß, gegen wen und was genau man vorzugehen hat. Das gilt für das Kunstwerk wie für jedes kleine Menschenleben dieser Erde. Nur dann fühlt sich der Mensch nicht "unwichtig" - so wie sich Marie Zimmermann vor ihrem Entschluß gefühlt haben muss.

SONJA VUKICEVIC´S SHAKESPEARE-CIRCUS ISTORIJA

Die serbische Performance Circus Istorija - Zirkus der Geschichte von Sonja Vukicevic (Regie, Bühne und Kostüme) nach ausgewählten Texten von William Shakespeare und Jan Kott brachte schließlich das "Entweder-Oder", "Leben-oder-Tod-oder?" komprimiert auf den Punkt: Es gibt nur drei eindeutige Möglichkeiten. Zitat: "Ich sterbe, du lebst, der Rest ist Schweigen.", "Ich will sterben, schlafen, träumen...". Während Shakespeares Machthaber, Könige und Königssöhne (Macbeth, Hamlet, King Lear, Othello, Richard III, Titus Andronicus) zwischen Grössenwahn und Wahnsinn in schwarz-weißen Fratzen wütend, großmaulig und lebenspessimistisch ihre Reden schwingen ("Die Liebe nährt das Böse"), fahren sie in viel zu kleinen Kinderautos herein, schlagen sie Räder, laufen sie Rollschuh, baumeln sie an Seilen. - Ihre Aktionen karikieren neben einem Clown ihre Worte, kehren sie ins Lächerliche bzw. ins Gegenteil und demonstrieren gleichzeitig, auf welchem kurzlebigen, gefährlichen Hochseilakt sie sich in ihrem Streben befinden. Doch in diesem Zirkus der Geschichte der weltlichen Macht (bzw. des Kommunismus aus Sicht der Belgrader Company) siegt am Ende dennoch die Hoffnung: Gegossen werden als lebensbejahender Ausblick kleine grüne Bäumchen, gleich der Weisheit Antoine de Saint Exupéry´s "Kleinen Prinzen" mit der Liebe zu seiner Rose auf seinem kleinen Planeten oder Voltaires "Candide": "Il faut cultiver notre chardin." (Wir müssen unseren Garten bebauen.) Was also zählt, ist das mit bestem Gewissen und Liebe zu machen, woran man gerade arbeitet. Das Ensemble selbst hat es insbesondere mit den drei erstaunlichen, akrobatisch geschulten Ballerina-Mädchen Ana Stamenkovic, Marija Grbic und Tijana Krsmanovic geschafft. - Leider ließ sich Marie Zimmermann von diesem Plädoyer auf persönlichen Einsatz im "Kleinen" nicht motivieren. Sie hat den Tod gewählt.

Die Shakespeare-Machthaber werden in Sonja Vivevics Circus Istorija (Fotos: © Vukica Mikaća) während ihrer Machtreden im Agieren - von virtuosen Ballettmädchen - umgeben konterkariert ...

.. gleichzeitig zeigt es ihre Kurzlebigkeit in einem Terrain, das zu kompliziertes Balance-Vermögen erfordert: Am Ende zählt die Demut, sich an der Pflege kleiner Bäume zu bemühen. Und das mit Hingabe!

CHEN ZHEN´S UNSCHULDIG ERLITTENE SENSIBILITÄT IM KÖRPER ALS LANDSCHAFT

Die Hingabe, sich bis zur Selbstaufzehrung zu befassen, wie es Marie Zimmermann tat, findet man auch beim bildenden Künstler Chen Zhen (geb. 13.5.1955, gest. 2000), der gerade in der Kunsthalle Wien ausgestellt ist. Allerdings in einem formalästhetisch viel höheren Ausmaß. Ob sein Leukämie-Leiden, das ihn 20 Jahre begleitete, aus dieser intensiven Art der Weltwahrnehmung entstand, oder umgekehrt, ob das Leukämie-Leiden zu seiner sensiblen Wahrnehmung und damit Kunst führte, ist schwer zu sagen. Jedes seiner Werke ist von einer religiös welterklärenden, epochalen Universalität, von einer Ernsthaftigkeit gegenüber dem eigenen Schaffen, als wäre es sein Letztes. Zärtlichkeit und Liebe, vereint mit Grundsätzlichkeit sprechen aus diesen komplexen, auf einen Punkt gebrachten, philosophischen, poetisch-schönen Werken. Allein die Skizzen der Installationen können als abgeschlossene Arbeiten durchgehen. Das Bewußtsein für die eigene, körperliche Fragilität strahlt aus den, in aus Zellendenken entwickelten hybriden Gebilden. Die inneren Abläufe im Menschenkörper sind für Chen Zhen Abbilder für die globale Welt, für des Menschen Existenz. Abläufe, die er in sich spürte. Seine letzte Arbeit Crystal Landscape of Inner Body veranschaulicht auf makabre Weise, wie intensiv und dominant sie sich in ihm aufdrängten: Er barte Organe aus Kristall auf einem Eisen-Glas-Tisch wie kostbare Schmucksteine auf. Dass er selbst indessen eines nach dem anderen mit seinem schwindenden Immunsystem aufgeben mußte, macht das Ganze zum Rührakt. Sein Blick in den Tod ist auch Purification Room (2000) zu entnehmen, ein völlig mit Lehm bedeckter Wohnraum: "ein lebendiges Grab".

In jeder seiner Arbeiten steckt die ganze Welt. So ist auch sein Bewußtsein für die Materie, für die Elemente Wasser, Erde, Feuer, Luft ausgeprägt, die er fantasievoll, doch konkret anwendet und anspricht. Als Emigrant tangierte ihn das Zusammenleben verschiedener Kulturen, das Leben unter kommunistischer Repression. Zu diesem Thema schuf er die anspruchsvollsten Werke.

Die herzzerreißendsten entstanden jedoch in seinem letzten Lebensjahr, seinem wohl härtesten Kampf: Zuversichtlich ist noch die Installation über die Leere beim Nichtstun, die im Gegenteil für ihn zum produktiven Geistesakt wird. Cocon du Vide steht als Schmetterlingspuppe aus buddhistischen Rosenkranzperlen für das mentale Energiefeld, das ruhig verharrend heran reift, um alsbald in leichter Weisheit und voller Pracht davon zu fliegen. Und Bathroom bereitet als Symbol der Waschung, als von innen leuchtender, geräuschreich brodelnder Metallkörper für das neue Leben vor: für Chen Zhens Leben im Jenseits, und des Menschen Leben im Leben.

Der in Frankreich lebende Chinese Chen Zhen spürte seinen leidenden Körper wie kein Zweiter: Jedes seiner Werke ist von einer Ernsthaftigkeit an Universalität und Formvollendetheit: Wie Bathroom (Fotos: Stephan Wyckoff © Kunsthalle Wien 2007 und VBK Wien 2007), das er zuerst perfekt skizzierte: Es steht für die Waschung für ein neues Leben. Im selben Jahr schuf er Purification Room (oben), eine "lebendig begrabene" Lehmwohnung, bevor Zhen nach 20 Jahren Leukämie mit 45 starb.





Chen Zhen´s, Crystal Landscape of Inner Body, (Detail), 2000, (crystal, iron, glass, cm 95x70x190, View: “Field of Synergy”, Galleria Continua, San Gimignano, 2000, © Ph. Attilio Maranzano, Courtesy Galleria Continua, San Gimignano – Beijing / VBK Wien, 2007) ist seine allerletzte Arbeit: Organe aus Glas.

DIE ANSPRUCHSVOLLE MÖGLICHKEIT DES (KUNST-)LEBENS OHNE DABEI DRAUF ZU GEHEN: ALFREDO BARSUGLIA

Ein fast ebenso großes Körperbewußtsein scheint der junge Grazer Maler, Video- und Installationskünstler Alfredo Barsuglia zu haben. Und er hat eine Lösung gefunden, wie sich Intesität leben läßt, ohne von ihr aufgefressen zu werden. Er lenkt Schmerzzerreißendes aus der Geschlechtsregion einfach in Richtung Mund. Und das ist nicht nur eine Ablenkung, sondern auch wahr: Wie jeder vom Besuch beim Zahnarzt weiss, gibt es kein stärkeres Pendant zum Geschlechtsverkehr als dieses völlige Ausgeliefert-sein des Patienten gegenüber dem bohrenden und reißenden Arzt. Hinzu kommt das Fetisch schöner Zähne im alltäglichen Pflegeritual. Ensprechend intensiv liest sich also der Pressetext des Wiener MAK anläßlich Barsuglias Lesung-Video-Performance Ende Juni 2007: "Open Mouth ist ein Pornobuch, das den Zusammenhang zwischen Oral-Hygiene und Oral-Sexualität - von Barsuglia "Oderflaismus" bezeichnet - subtil und vielschichtig beschreibt. Mit Zeichnungen von sexuell stimulierenden Hilfsmitteln illustriert er seine Erörterungen zum Oderflaismus." Dieser Künstler findet demnach zu einer inhaltlichen Ablenkung und daher erträglichen Beschäftigungsmöglichkeit von Intensität. Gleichzeitig ist seine konzeptuelle, zeichnerische Umsetzung technisch hervorragend, und noch einmal um eine Nuance distanzierender ausgeführt. Was dieses Werk also auszeichnet und letztlich auch den Künstler mental und körperlich rettet, ist die Distanz durch den Humor. Wahrscheinlich wird er sich innerhalb der Kunstgeschichte zwar nicht mit einem Chen Zhen messen können, aber: er wird auf alle Fälle (gesundheitsbezogen) länger leben.

Alfredo Barsuglia hat einen Weg gefunden, die Dinge nicht so direkt erfahrbar zu machen: er spricht anstatt über Porno von Zahnpflege - allerdings perfekt und mit Hingabe gezeichnet - Steckt dahinter prinzipielle Lebensweisheit?

Ziehen wir daraus also den Schluß für unser aller "normales" Durchschnittsdasein: das Ziel muss die gehobene Komödie sein, als täglicher Zugang zum und Standard des Lebens. Abgeleitet von der Kurzmetapher: Ein Mann begegnet in einer mittelalterlichen Stadt einem Steinmetz und fragt ihn, was er tue. „Steine behauen“, sagt dieser. Kurz darauf antwortet ein Zweiter auf diese Frage: „Meine Familie ernähren.“ Ein Dritter aber sagt darauf strahlenden Auges: „Ich baue an einer Kathedrale.“ - Werden sozusagen die Steine mit bestem Wissen und Gewissen behauen, kann man sich daran erfreuen. Zur Kathedrale kommts dann vielleicht wie von selbst, und die Familie wird nebenbei auch noch (durch Geldanhäufung) ernährt. Daran sollte sich auch eine Eva Dichand ein Beispiel nehmen!


THEATER Die Rosenkriege * Vier Historiendramen von William Shakespeare * Deutsch von Albert Ostermaier und Thomas Brasch * Regie: Stephan Kimmig * Musik: Philipp Haagen * Mit: Regina Fritsch, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Daniel Jesch, Dietmar König, Michael König, Johann Adam Oest, Nicholas Ofczarek, Jörg Ratjen, Martin Schwab, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 14., 21., 27., 28.9.2008: 15h
- Die Rosenkriege, 1. Teil: Zeit: 15.9.2008: 18h30
THEATER Hamlet ³ * Von: William Shakespeare * Regie: Árpád Schilling * Musik: Jörg Gollasch * Mit: Martin Schwab, Markus Meyer, Tilo Werner * Ort: Kasino am Schwarzenbergplatz * Zeit: 19., 20.9.2008: 20h
THEATER König Lear * Von: William Shakespeare * Regie: Luc Bondy * Mit: Gert Voss, Birgit Minichmayr, Martin Schwab, Andrea Clausen, u.a. * Ort: Burgtheater (Co-Prod. Wiener Festwochen) * Zeit: 4.9., 5.9., 25.9., 30.9.2008: 18h30 + 7.9.2008: 17h + 3.10.2008: 18h
THEATER Sturm * Von: William Shaekespeare * Regie: Barbara Frey * Mit: Joachim Meyerhoff, Johann Adam Oest, Maria Happel, u.a. * Ort: Akademietheater * Zeit: 4.10.2008: 20h THEATER Viel Lärm um nichts * Von: William Shakespeare * Regie: Jan Bosse * Mit: Joachim Meyerhoff, Christiane von Poelnitz, Nicholas Ofczarek, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 6., 17.9.2008: 20h THEATER Ein Sommernachtstraum * Von: William Shakespeare * Regie: Theu Boermans * Mit: Peter Simonischek, Bibiana Zeller, u.a. * Ort: Burgtheater *: Zeit: 10., 11., 22., 29.9.2008: 19h30 + 5.10.2008: 19hTHEATER Julius Cäsar * Von: William Shakespeare * Regie: Falk Richter * Mit: Peter Simonischek, Michael Maertens, Ignaz Kirchner, Moritz Vierboom, Roland Koch, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 3., 8.4.2008: 19h30
THEATER Romeo und Julia * Von: William Shakespeare * Regie: Sebastian Hartmann * Mit: Sven Dolinski, Julia Hartmann, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 25.5.2008: 18h

THEATER Romeinse tragedies - Römische Tragödien * Coriolanus, Julius Cäsar, Antonius und Cleopatra - Eine Schauspielinstallation mit Video und Musik Komposition (Eric Sleichim) * Nach: William Shakespeare * Regie: Ivo van Hove * Produktion: Toneelgroep Amsterdam (Gastspiel im Rahmen der Wiener Festwochen)* Mit: Barry Atsma, Chris Nietvelt, Karina Smulders, u.a. * Musiker: Bl!ndman - Ward Deketalaere, Yves Goemaere, u.a. * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 6.6.2008: 18h + 7., 8.6.2008: 16h * Dauer: 6 Stunden!
THEATER Die Lears * Nach: William Shakespeare * Regie: Barbara Weber * Mit: Rahel Hubacher, Yvon Jansen, Sebastian Rudolph, Anne Ratte-Polle * Live-Musik: Michael Haves * Produktion: Hebbel am Ufer, Berlin, Theater am Neumarkt, Zürich, Wiener Festwochen * Ort: brut im Künstlerhaus * Zeit: 13.-16.6.2008: 20h
THEATER Troilus und Cressida * Von: William Shakespeare * Regie: Luk Perceval * Mit: Oliver Mallison, Julia Jentsch, u.a. * Produktion: Wiener Festwochen - Münchner Kammerspiele * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 12.-17.5.2008: 19h30


AUSSTELLUNG Chen Zhen - Der Körper als Landschaft * Kurator: Gerald Matt * Ort: Kunsthalle Wien, Halle 1 * Zeit: bis 2.9.2007
LESUNG/VIDEO Alfredo Barsuglia und Open Mouth * Ort: MAK-Vortragssaal Wien * Zeit: 26.6.2007: 20h30

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