Monday, February 19, 2007

INTELLEKTUELLENFIEBER - NEUE AUTOREN SUCHEN ECHTES, NÄHE, VERANTWORTUNG: MARTIN HECKMANNS BIS MICHAL WALCZAK


August (Stefano Bernardin) und Julie (Silvia Meisterle) sind in Igor Bauersimas norway.today zwei lebensmüde Jugendliche, die sich auf einem Berg das Leben nehmen wollen. Doch dann kommt es anders ... Foto: © Theater der Jugend

INTERESSANTE NEUE AUTOREN AUS ALLER WELT WERDEN IMMER HÄUFIGER ZU (SZENISCHEN) LESUNGEN GELADEN. UND DIE JUGEND INTERESSIERT SICH VERMEHRT FÜR LESUNGEN. DAHINTER VERBIRGT SICH EIN AUFRICHTIGER HUNGER NACH INTELLEKTUALITÄT, ECHTHEIT UND VERANTWORTUNG. DENN VON DER UNPERSÖNLICH-OBERFLÄCHLICHEN MASSENKULTUR HAT DIE JUGEND DIE NASE VOLL. DAS ZEIGT SICH AUCH IN DER MUSIK. - EINIGE DER ZULETZT BESTEN IDENTITÄTSSTIFTER

Wach und neugierig ist das Interesse an jungen Autoren. Auch in Wien. Die österreichischen Theater befriedigen das selten mit Aufführungen auf großen bzw. Hauptbühnen, immer öfter aber - wenigstens - mit Autorenlesungen. So kommt man nicht nur den Autorentexten, sondern auch der authentischen Stimmung, die hinter all dem Geschriebenen liegt, nahe. - Eine Erfahrung, die mit nichts Inszeniertem vergleichbar sein kann, das immer auch die Eigenschaft der "Unterhaltung" enthält. Ein Schreiber zielt mit seiner spitzen Wortwahl und seiner Persönlichkeit direkt in Herz und Hirn. Nämlich dann, wenn seine Lesung so wirkt, als würde man einen anregend nachdenklichen Menschen persönlich und ganz nah kennenlernen, den man eigentlich für diese Intensität seit Jahren kennen müßte.

Besonders spannend sind fremdländische "neue" Autoren, die in Österreich gespielt werden oder Station machen. Sie sind auch in Form von szenischen Lesungen interessant. Dabei fällt auf: Es gibt Themen und Stile, die global gelagert sind und die gesamte junge Gesellschaft betreffen, solche, die speziell durch ihr Lokalkolorit auffallen, und jene, die dichterisch-musikalische Qualitäten aufweisen - die anspruchvollste und anmutigste Art. Dass es so etwas überhaupt gibt, erstaunt im Segment "Jungautoren". Denn es möchten sich tatsächlich, trotz vorherrschender Banalität und Schablonenformate der Massenkultur, immer mehr jugendliche Intellektuelle ihre eigene Ästhetik entwickeln. - Das macht zuversichtlich für die kulturelle Zukunft und freut alle, die die Massenabspeisung via Fernsehen, Blockbuster-Kino und Events nicht mehr aushalten.

MARTIN HECKMANNS, WIGLAF DROSTE UND KATHRIN RÖGGLA AUS BERLIN

Es mag eine Berliner Mode sein, dass Autoren bei ihren Lesungen singen oder musizieren. Verglichen zu der Schreibe war das sowohl beim vielfach ausgezeichneten und derzeit überall gespielten Martin Heckmanns (35) im Burgtheater-Vestibül, als auch bei Wiglaf Droste (45) im Wiener Rabenhof eher "nur lieb" als eine künstlerische Sensationsdarbietung. Heckmanns singt gitarrespielend wohl besser als Droste, während Droste wieder der "bessere" (Selbst)darsteller ist. Bei beiden macht das überraschenderweise aber Sinn, denn es paßt atmosphärisch exakt zur jeweiligen Art des Dichtens. Zudem sind Heckmanns´ textlich beschriebene, unsichere Hauptfiguren keine "Selbstdarsteller", sondern fragile, das Leben intensiv wahrnehmende und hinterfragende Beobachter, die dadurch immer mehr an Stärke gewinnen: in schöner, reflexiver Sprache, die manchmal auch hart und zynisch werden kann. Der widersprüchliche Eindruck macht Worte und Mann (sprich Autor) am Ende sexy. Ernsthaft sexy, sodass der Zuschauer beidem vertrauen will: Ganz besonders, wenn Heckmanns (seine) Liebesgefühle beschreibt, wie im inneren Monolog Finnisch oder Ich möchte dich vielleicht berühren, während sich (s)ein schüchterner Jüngling überlegt, wie er sich einer selbstbewußten Frau annähern soll. Den Reim, "zwei Menschen bilden einen Kreis, von dem nur weiß, der darin kreist", singt er lediglich sich selbst vor, statt "ihr". Aber auch dem Zuschauer. Das bindet. Wenn Heckmanns über die Dimensionen des Hautkontakts philosophiert, der im Intimen so wichtig, beruflich so unangenehm ist... Im Monolog Das offene Fenster oder Von der Abwesenheit beschreibt der Autor den Verlust eines geliebten Menschen, der sich das Leben nahm. Die Intimität seiner ungewöhnlichen Bilder läßt den Zuhörer augenblicklich an seine eigenen, ähnlich gelagerten Erfahrungen von "Verlust" denken. Nämlich dann, wenn diese Trauer die Färbung einer poetischen Liebkosung annimmt: "Früher war dein Körper drahtig und fest, jetzt verschwimmst du." Oder trocken morbid: "Einen Toten zu kennen, bereichert mein Leben." Worum es bei alledem im Grunde immer geht, ist das wahrhafte Gefühl, das aus dem Subtext strahlt.
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Berliner Martin Heckmanns ist ein sensibel-intellektueller Dichter mit Hang zur Romantik: seine Wortwahl lebt von Poesie und Unkonventionaliät, sie ist eine Metasprache, deren emotionale Kraft die Aussage ist. Sehr eigenständig, sehr spannend. Foto: © Elfi Oberhuber

Droste hingegen ist ein Meister der sprachspielenden Pointen-Spicke. In Prosa. Er entspricht daher eher der äußeren, lauten, konventionellen Art von "männlichem Sexappeal". Nachdem er sich über mediale Erfolgsmenschen und ihre billigen Tricks, über Sitten des Kleinbürgertums und über Marketingstrategien lustig gemacht hat, schlägt er noch ein Rad, was seinen Spott darüber verdoppelt und ihn subtil auch auf das anwesende Publikum überträgt. Offensichtlich äugt er mißtrauisch darauf, als würde den allgemein Sensationslüsternen sein Text nicht genügen. Obwohl er es phasenweise tut: Wenn Droste etwa die sich von einem Dorffest auf dem Heimweg befindenden, "kotzenden Ex-DDR-ler" beschreibt, für die das Erbrechen ebenso zum alljährlichen Ritual gehört wie das Fest selbst. Das alles mit dem Existenzialismus eines Camus gleichgesetzt, bekommt die Note einer außenseiterischen Überheblichkeit, die aber so gewinnend ist, dass der Zuhörer all seine innewohnende Bösartigkeit filtert und sie als herzhaften Lacher ausspucken muß. Gleich einem Cartoonisten entwickelt Droste seine Bilder. So sehen etwa die in Mode gekommenen Biker (Radfahrer) im Partnerlook seiner Ansicht nach in ihren Stretchanzügen mit Helmen wie ein Paar Bockwürste aus. Wenn allerdings beispielsweise die Radler ein Radler trinken, begibt sich Droste in Gefahr, platt zu klingen. So platt, wie für manchen auch seine nachgesungenen Country- und Dean-Martin-Songs, seine geschlagenen Räder sein mögen, die in der Hitze seines offensichtlichen Geltungsbedürfnisses "noch dazu" gegeben werden müssen. Und das, wo er doch andauernd zu beweisen versucht, dass er der verdientere Star als die Langlebens-Selbstvermarkter Franz "Pflanz" Beckenbauer und Reinhold Messner sei. Zweiterem gibt er sogar noch folgenden Tipp, da er - wie in seinem Buch beschrieben - via Sandmarsch "der Leere des Nichts entfliehen" wolle: "Wozu in die Wüste Gobi schreiten, wenn das Doofe liegt so nah?" - Trotz dieses anspruchslosen Gags muß man es dem grotesk-schreibenden "Zirkusartisten" und "Sänger" Droste dann aber doch lassen: Er ist zumindest der verdientere "Künstler" als die Leute, über die er schreibt. Etwa, wenn er den Vatikan Flaschen drehen läßt, um den Papst zu wählen, wenn sein Bär-Terrorist Bruno nicht in die Talkshow gehen kann, um sein mediales Image wieder aufzubessern und seinen Abschuß zu verhindern, oder wenn die Menschen zu Weihnachten "ungefickt" mit dem Zug zu Muddi fahren. - Der Mann besitzt auf alle Fälle artikulativen Mumm.
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Berliner Wiglaf Droste liebt es zu provozieren. Seine Sprache lebt durch Pointen, Cartoon-hafte Beschreibungen und Bissigkeit. Ziemlich böse, manchmal auch platt. Foto: © Nikolaus Geyer



Enttäuschend war die Lesung Kathrin Rögglas (35) im Wiener Tanzquartier. Vor allem inhaltlich. Sie leitete im Essay Die Rückkehr der Körperfresser vom
heute langweilig und Schema-F abgespulten "Hollywood-Katastrophenfilm" sowie von der sensationslüsternen "TV-Katastrophen-Nachricht" auf die "viel spannendere Theaterwelt" über, wo derzeit das für sie begehrenswerte Gefühl der "Unheimlichkeit" besser getroffen würde. Während sie also wie eine brave Publizistik-Studentin Susan Sontag, Marshall McLuhan, Jean Baudrillard zitierte - deren bekannte Gedanken noch am spannendsten waren, indem sie von der Wirkung des Katastrophen-Spektakels auf den Rezipienten ausgingen -, meinte Röggla, dass der Katastrophenfilm enttäuschender Weise keinen Ort der Optionen mehr böte, nicht mehr auf untergründige Weise zu erstaunen vermöge, das Theater dank origineller Erzähl- und Umsetzungsformen aber schon. - Was sollte das aber dann sein, wovon sie da spricht? Ein Katastrophentheater? - Rögglas holpriger Rückschluß liegt nicht nur darin, dass sie von der Film-Rezipientensicht auf jene des Theatermachers springt, und das als ident hinstellt, sondern dass sie auch noch von einem Filmgenre auf das ganze Theater schließt. Abgesehen davon, dass eine Vielzahl der Hollywoodfilme als Stoff zuerst überhaupt im Theater entdeckt werden. Und dass neue Independent-Filme sehr wohl - da formal experimentierfreudig - das Zuschauergefühl der "Unheimlichkeit" wecken und damit eher mit dem experimentellen, neuen Theater zu vergleichen wären. Das war also ein oberflächlicher, unreflektierter Gedankengang. Oder schlicht ein Indiz dafür, dass da eine nicht mehr ganz junge Frau - die ja erst seit 2002 auch fürs Theater schreibt - endlich das Theater entdeckt hat, wozu sie (noch) andere animieren will.
Da die gebürtige Salzburgerin und seit 1992 in Berlin lebende Röggla aber schon so viele Preise gewonnen hat, wollten wir wissen, ob die für ihre "Sozialkritik", formale "Stadt- und Textarchitektur" sowie das "Insistieren auf eigene Ästhetik" bekannte Autorin in Prosa mehr zu bieten hätte: Sie hat. Etwa im Satz: "nicht aufhören, sich zu bewegen, sonst wird man beton. und so laufe ich und laufe und während ich laufe, fällt es mir endlich auf: ich laufe und laufe nicht rückwärts, doch fühlt es sich gerade so an." Auch wenn Röggla für manchen Geschmack selbst in diesem Genre zu viele Bilder assoziiert. Für ein derartiges Zitat ist uns der Platz hier aber zu schade.
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Die in Berlin lebende Salzburgerin, Kathrin Röggla, findet zu überraschenden Sätzen, assoziiert bei diesem Vorhaben manchmal aber auch zu viel, sodass ihr Gedanke dann oberflächlich wird. - Das Essay-Schreiben sollte sie gerade deshalb eher bleiben lassen. Foto: © N.N.




SZYMON WROBLEWSKI UND MICHAL WALCZAK AUS POLEN

Im polnischen Dramenschreiber Szymon Wroblewski (24) hat die EU offensichtlich Einzug gehalten. In seinem Stück Puzzle,das mit dem 1. Preis des wichtigsten polnischen Festivals für zeitgenössische Dramatik baz@art ausgezeichnet wurde, kämpft die Jugend mit dem Kontrast von Familientradition und globaler Beziehungsbrüchigkeit. Selbst die Ehe der "Alten" ist am Ende, indem der Ehemann mit der jungen Krystyna eine Affaire hat. Die Jungen treffen sich indessen bei regelmäßigen Technoparties, wo Krystyna zusätzlich mit ihrem jugendlichen Ex-Freund kokettiert, sowie auch mit einem Jungen, der möglicherweise ihr Parallelfreund ist oder werden könnte. Unter Drogenangebot und Handyabhängigkeit suchen sie den Halt, den sie im früheren Beziehungsernst pflegten, der aber nicht mehr "in" zu sein scheint. So stolpern sie unschuldig, aber unterschwellig bitter, verhaltensmäßig cool, und doch mit Mißtrauen durch fragwürdige Kurzaffairen, wobei anfangs und am Ende des Stücks die Hoffnung auf Kai und seine Stiefschwester aus dem Märchen Die Schneekönigin bleibt, worin die Liebenden "ewig" zusammen zu bleiben schwören. - Die Religiosität der Polen strahlt hier inhaltlich klar durch. Leider hat aber der dramatische Stil ansonsten sämtlichen polnischen Konnex verloren. Die an die Popkultur gebundene Erzählweise könnte von überhall her stammen, nur dass hier eine Jugend über ein Problem nachdenkt, das bei uns schon vor zwanzig Jahren diskutiert wurde.
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Szymon Wroblewski ist ein junger Pole, der bereits EU-konform sozialisiert ist. Und dennoch hat er Sehnsucht nach Halt und Beständigkeit: vor allem in der Beziehung.
Konventionell jugend-globale Sprache. Foto: © Polnisches Institut Wien


Stilistisch origineller ist da schon das mit dem Europäischen Autorenpreis 2006 ausgezeichnete Stück von Michal Walczak (27) Das erste Mal, das wie Puzzle im Volkstheater-Hundsturm als szenische Lesung mit Schauspielern aufgeführt wurde. Im Loop-Charakter wiederholt sich in leichter Abwandlung ständig dieselbe Szene, die aber nie zuende gespielt wird, wobei sich später heraus stellt, dass das zwischen dem darin vorkommenden Pärchen vorher so ausgemacht wurde. Die Wiederholungen sollen dazu dienen, die von ihrem Ex-Freund enttäuschte junge Frau sexuell wieder aufnahmefähig zu machen, bis ihr Vertrauen wieder aufgebaut ist und sie zum Sex bereit sein kann. Der Wiederholungsmechanismus spitzt sich so weit zu, dass sich der junge, behutsame Mann völlig zum Narren macht. Erst, als er wie ein Wilder über sie herfällt, kommt es zum besagten "Ersten Mal". Und von dieser Macho-Wildheit ist sie nun - tja, so widersprüchlich sind die Frauen - hellauf begeistert. Allerdings meint nur er, dass das ihr erstes Mal gewesen sei. Denn das dabei entstandene Kind, das er in einem Wahnsinnsanfall ermordet sieht, stammt nicht von ihm, sondern von seinem "Vorgänger", den das Mädchen tatsächlich immer nur liebte. - Ein skurriler Albtraum gleich einem frühen Roman-Polanski-Film, was wiederum auf die surreale Groteskentradition eines Witold Gombrowicz zurück zu führen ist. Ein ungemein unterhaltsames Stück, das mit dichterischem Eigenprofil eine künstlerisch hochwertige Bereicherung für die globale Theaterszene ist. Eigenartig ist nur, wie schon im vorher beschriebenen Stück: die alt-religiöse Wertverdrossenheit hinsichtlich des "ersten Mals", das bei den Polen anscheindend noch so einen "frauendiskriminierenden" Beigeschmack hat, wie in der österreichischen Gesellschaft in den 60er Jahren. Selbst unter der fortschrittlichen Jugend!
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Michal Walczak schöpft in seiner Schreibe aus der polnischen Tradition der surrealen Groteske und Ohnmachtskonstellation. - Extrem hochwertig, extrem lustig! Foto: © Polnisches Institut Wien


GILLES GRANOUILLET WURDE SEHR TREFFEND ALS FRANKREICH-REPRÄSENTANT AUSGEWÄHLT

Das im Rahmen des Übersetzungsprojekts Trames von der Comédie in Saint-Etienne und von Bettina Arlt übersetzte Stück Der Tag als Mama auf den Leuchtturm stieg / Ma mère qUi chantait sur un phare ist formal genreübergreifend und poetisch-psychologisch ein sehr anregendes Werk des Franzosen Gilles Granouillet (44). Er streift - wie ebenfalls in einer szenischen Lesung im Hundsturm zu sehen war - in erzählerischen Sprüngen parallel laufender Rückblenden und verschiedener Sichtweisen eines Geschehens den Film sowie die Monolog-Technik in der Literatur und verpackt das zu einer tiefgründig berührenden und reflexiven Theatererzählung über das Erwachsenwerden zweier Jungen geschiedener Eltern. Der typisch Ältere der Beiden, Marzeille, hat seinen Vater noch - ihn als Kind nachahmend - in Erinnerung, der tpyisch Kleinere, Perpignan, hat ihn nie kennengelernt, weshalb er ihn mit "Gott" verwechselt. Die Burschen rennen Frösche-quälend mit ein paar jungen Welpen im Sack und deren Hunde-Mutter durch die Gegend und erwischen die Frau eines Baggerfahrers beim Seitensprung - von der man so etwas nie glauben würde. Währenddessen sinniert der Baggerfahrer der sexy "Blondine" von damals nach, der alle nachrannten, Marzeilles und Perpignans Mutter, die - ebenso ungeahnt - von ihrem Mann verlassen wurde. Zitat: "Die Getäuschten werden scheu und zurückgezogen, die anderen sind immer fröhlich und offen." - Wie es dazu kam, erzählt später das Phantom des Vaters während einer symbolischen Bootsfahrt, wo er die Mutter ertrinken läßt. Am Ende bleibt den beiden Jungen als einzige Gallionsfigur in ihrem Leben die Mutter am Leuchtturm. - Also auch aus Frankreich kommt der traurige Hinweis auf die Kurzlebigkeit von Partnerschaften, wobei diese Schilderung eine sehr sensible, Charakterinnerlichkeiten treffende Note hat. Poetisch, sehr schön.









Franzose Gilles Granouillet erzählt aus mehreren Perspektiven und in filmischen Rückblenden vom Erwachsen-Werden in zerrüttetem Elternhaus. - Sehr sensibel, monologreich und deshalb psychologisch anregend Foto: © N.N.


AUS ITALIEN. ALBERTO BASSETTI BESTICHT GEGEN NEGRI, CERVO, FERRI


Italiens junges Drama kreist - wie beim italienischen Wochenende der Dramatik im Kasino am Schwarzenbergplatz / Burgtheater Anfang März auf einfachste Inszenierungsweise veranschaulicht - gemäß der alltäglichen Real-Regierungsdramatik auch im Theater hauptsächlich um Politik und Inhaltsdebatten. So hat etwa der 74-jährige Antonio Negri, der für radikale, aber lösungsorientierte, kommunistische, aber demokratische Globalisierungstheorien in Prosa (Empire, Multitude) bekannt ist, in seinem ersten Theaterstück L´uomo piegato einen "gebogenen Mann" entworfen, der sich angesichts des wiederaufkommenden Faschismus verbiegt, um nicht zu zerbrechen. Er setzt das mit der Natur gleich, den Bäumen im Sturm, die in fröhlichster Leidenschaft Widerstand leisten. - Eine poetische Note, auf der das ganze Stück aufgezogen werden könnte, um ästhetisch zu wirken.

- Obwohl dieses Land sonst für seine "musische Optik" so bekannt ist, sind die Stücke insgesamt weder formal, noch sprachlich aufregend. Gian Maria Cervo (36) versucht zwar, mit seinem vollgestopften Stück L´uomo più crudele / Der grausamste Mensch quer durch Literatur, Politik, Religion und Homosexualität so etwas wie formale Neuerung, doch wird es lediglich von Intellektualität (im Sinne von Wissen, das sich auf Wissen aufbaut) dominiert, die er ironischerweise loswerden will, wenn ein Vampir unter einem Türken in Transsilvanien und quer durch sämtliche Zeitreisen von Pfählereien spricht, um am Ende bei Virginia Woolf zu scherzen: "Wann werden wir endlich aufhören, die Vergangenheit zu erfinden, um die Gegenwart zu erklären?"

Linda Ferris´ (50) erster Theatertext La conversazione folgt dem sprichwörtlichen Thementrend, sich mit einem Menschen zu unterhalten, der zu früh (mit 35) gestorben ist bzw. sich umgebracht hat. Darin sagt der tote Vater zu seiner Tochter, die erwägt, es ihm wie Ophelia gleich zu tun: "Du willst wie ich sein und Kind bleiben, indem du stirbst." - Dieses Stück der Verantwortungsverweigerung wäre "gelesen" wahrscheinlich interessanter als gespielt.

Mitreißend war nur Alberto Bassettis (51) neues Stück La gabbia / Der Käfig, da auch gut gespielt und inszeniert (der viel ausgezeichnete Bassetti hat auch diese Funktionen übernommen). Es beginnt wie eine Komödie, indem ein erfolgreicher Biografienschreiber (Bassetti) im Aufzug seines tollen Hauses steckenbleibt, weil der Strom ausfällt, während ein Einbrecher (sehr witzig: Gian Luigi Pizetti) mit Taschenlampe eingedrungen ist. Doch dann wird´s unheimlich, denn der Dieb klaut gar nichts, sondern schnüffelt nur in allen Sachen herum und betreibt mit dem unter Klaustrophobie leidenden Autor ein sado-masochistisches Gewissensverhör bezüglich seines Lebens, das aus schöner Ehefrau, reizvoller Geliebter und plakativem Erfolg besteht. Am Ende will der "Eingeschlossene" nur noch nackt, frei und Gedichte-Schreiber sein, was er denn auch ist, nachdem sich herausstellt, dass der Einbrecher nur eine Geburt seines verunsicherten Geistes gewesen ist. Sprünge zwischen real-gespielter Einbildung und fiktiv-gedachter Handlung machen das Stück auch szenisch, da formal ironisch, interessant.
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Italiener Alberto Bassetti gibt Jugend und Erwachsenen einen Ausblick darauf, worauf es im Leben ankommt: Nicht auf gesellschaftlichen Erfolg, sondern auf offene, innere Nacktheit und Kreativität. - Mit formaler Ironie lustig und inhaltlich existenzialistisch. Foto: © N.N.




ALLE SUCHEN "ECHTHEIT", AUCH DER IN DER SCHWEIZ AUFGEWACHSENE TSCHECHE IGOR BAUERSIMA, IRE ENDER WALSH UND ÖSTERREICHER KARL WOZEK


Was all diesen Autoren gemeinsam ist, ist die Suche nach "Echtheit" im Sinne von Gefühl für eigene Identität und Intimität entgegen der billigen "Fakes", die von den Massenmedien, Marketern, der Gruppendynamik und der Erfolgsgesellschaft eingetrichtert werden. - Diesen Trend gibt es übrigens auch in der Musikszene bei den Jungjazzern: im März "tagen" sie im Wiener WUK bei freiem Eintritt. Und auch in inszenierter und textgelernter Form:

Der mit vier Jahren von Prag in die Schweiz emigrierte Igor Bauersima (43) trifft mit seinem norway.today, das er mit 36 geschrieben hat und gerade im Theater der Jugend läuft, auch Verhalten, Gefühle und Sprache der Jugendlichen. Ebenso wie der irische Stückeschreiber Enda Walsh (40) im - für den neu geschaffenen österreichischen Dramapreis für junges Publikum, Stella 2007, nominierten - Chatroom, das im April im Dschungel Wien zu sehen ist. In beiden Stücken chatten die Jugendlichen den ganzen Tag lang, werden so zu Eigenbrötlern und kommen möglicherweise auf dumme Gedanken. Bei Walsh geraten sechs Jugendliche als Revolutionäre sozialromantischen Heldentums in ein verhängnisvolles Spiel. Bei Bauersima treffen sich Julie (Silvia Meisterle) und August (Stefano Bernardin) auf der Klippe eines norwegischen Fjords, um sich umzubringen, einfach, um mal zu sehen, wie das so ist. Sie sind beide generell lebensmüde. Julie ist außerdem von ihrem Ex enttäuscht. Bevor es so weit ist, basteln sie aber noch an einem Abschiedsfilm für ihre Familien. Und siehe da, je ehrgeiziger sie über sich berichten und dabei etwas zu schaffen versuchen, desto eher kommt ihre Lebenslust zurück. Im Angesicht von Sternen und Natur verlieben sie sich auch noch in einander - was nicht ohne Kampf abgeht. Diesen Bogen schaffen in der Realität allerdings nicht viele, deshalb widmet Regisseur Alexander Brill den "echten" jungen Selbstmördern einen Kranz.
- Wie trist das Leben auch Österreichs Stadtjugend sieht, wird in Mödlinger Karl Wozeks (45) Stück deutlich: in Amsterdam, ebenfalls für Stella 2007 nominiert, sind Heim und Schule nur Stress, die Zukunft heißt Arbeitslosigkeit, ist damit ein finsteres Loch, was man mit Alkohol, Drogen, Gewalt und Fadesse kompensiert. Bis man zur "genialen" Idee findet, abwechselnd Gott zu spielen, was unter absolutem Gehorsam von den anderen ausgefolgt werden muß; ein Machtrausch beginnt und endet im Mord. - Lord of the Flies läßt grüßen.





Tscheche-Schweizer Igor Bauersima trifft in seinen Theaterstücken die Lebenssituation und Pop-beeinflußte Sprache der globalen Jugend. - Ein Realitätsspiegler mit hoffnungsspendender Komponente. Foto: © N.N.




Ebenso wie Ire Enda Walsh: Mit prägnanter Sprache trifft er die Gefühlslage der typisch (global-)irischen Jungen, die sich mit Glücks- und Liebesverlangen gegen soziale Kälte und gesellschaftliche Vereinsamung behaupten. Foto: © N.N.



Enda Walshs Stück Disco Pigs (UA 1996) wurde in sechzehn Sprachen übersetzt und auf 36 deutschen Theatern gespielt. Igor Bauersima hat es sogar auf die Hauptbühne des Burgtheaters geschafft - sein Stück Boulevard Sevastopol ist derzeit im Akademietheater zu sehen. Überhaupt ist er seit norway.today einer der meistgespielten deutschsprachigen Gegenwartsdramatiker. - Selbst wenn er sprachlich weit weniger zu bieten hat, als etwa ein Martin Heckmanns, und formal weit weniger als ein Michal Walczak. Was er der Jugend aber schenkt, ist ein exakter Spiegel ihrer selbst, und etwas Hoffnung. Im Theater der Jugend wird er von der Jugend auch gesehen. Die neueste Strömung der intellektuellen, sprachlich absolut musischen Jungautoren wird dagegen fast lieber von den reiferen Zuschauern und Theaterkennern angenommen, was wohl daran liegt, dass sie nur in Neben- und Probebühnen gespielt werden. Eigenartigerweise schafft es dagegen das Rabenhof-Theater, die Studentenschar hausfüllend zu Wiglaf Droste zu locken. - Dabei gäbe es doch, wie aufgezählt, noch passenderes und besseres, um sich gut zu entwickeln. - Aber darum müssen sich andere Leute kümmern: Kulturelle Werbeleute zum Beispiel.


Auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in artists / talks / politics ist Autor MARTIN HECKMANNS im O-Ton zu hören und zu lesen!

Die Kritik von Martin Heckmanns aktuellem Stück Das wundervolle Zwischending im Burgtheater-Vestibül gibts in: in www.intimacy-art.com / aKtuell / CRITIC
THEATER Das wundervolle Zwischending * Von: Martin Heckmanns * Regie: Rudolf Frey * Mit: Stefanie Dvorak, Johannes Krisch, Roland Kenda * Ort: Burgtheater im Vestibül * Zeit: 15.2.2008: 20h

IN BÄLDE ERSCHEINT auf intimacy-art.com eine Follow-Up-Story zum Neuen Autorentheater, ausgehend vom Resumée über die Werkstatttage im Burgtheater, sowie die startende Saison im Schauspielhaus unter Andreas Beck
Heiße Adressen für Lesungen und Autorenentdeckungen:
www.schauspielhaus.at, www.burgtheater.at, www.volkstheater.at, www.dschungelwien.at;

; www.rabenhof.at, Literatursalon-link: www.akkordeonfestival.at

Kommende Polen-Stücke:
Showcase Polen * Klavierrecital und szeneische Lesung mit Mateusz Kolakowski, Diskussion, Gastspiele des Szaniawski Theater in Wałbrzych/Waldenburg mit Michal Walczak-Stücken * Ort: Hundsturm/Volkstheater * 15., 16.2.2008: ab 18h30

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