Thursday, September 27, 2007

intimacy: art - KUNSTRANKING´07,3: KATEGORIE "REPORTAGE-KUNST"


In der dritten Kategorie des qualitativen intimacy: art - Halbjahres-Kunstrankings 2007 (für die Kategorien I "Touristen & Eventattraktion" und II "Sammler und Sammlungen" scroll down bzw. click archive August 2007, September 2007 rechts von diesem Text!), juriert von der intimacy: art-Redaktion, geht es um jene Ausstellungen, worin Künstler die Rolle von Journalisten übernehmen und weltrelevante Themen - von der Umwelt, Politik bis zum gesellschaftlichen Zusammenleben - aufarbeiten und reflektieren. Wir nennen diese Kategorie "Reportage-Kunst". Im Grunde arbeitet sie großteils auf dem Prinzip der Konzept-Art, um sich öffentlich relevanten Themen zu nähern. Dieser Begriff scheint uns aber zu begrenzt und zu verkünstelnd verschleiernd, weshalb wir diesem Zugang den profanen Titel Reportage-Kunst geben. Schon weil diese Werke, ästhetisch gesehen, das Verständnis von "Kunst" (abgeleitet von der Definiton des formalen Könnens) verlassen. Dafür artikulieren sie in der freien Zone der Kunst instinktiv Behauptungen, die ein Journalist ohne eindeutige Belege nie aussprechen dürfte. Die Begründung fußt bei Künstlern viel mehr auf subjektiven Ängsten und Emotionen sowie fantasiereichen Assoziationen, was einerseits eine treffende Tendenz (begründete Angst) für die Zukunft vorwegnehmen kann, andererseits auch als hysterische Fehlinterpretation (unbegründete Angst) in die Irre leiten kann - auf alle Fälle ist sie dann aber ein Signal für die Existenz einer gesellschaftlichen Unsicherheit (es sei denn, ein Künstler will damit nur Aufmerksamkeit erheischen). Jene Museen und Galerien, die öfter brisante Themen präsentieren und zur Sprache bringen (im Sinne von Gatekeepering), gelangen im Ranking ins Spitzenfeld, wobei es darauf ankommt, dass sie den Zahn der Zeit treffen oder dass sie - umgekehrt - wichtigen Minderheiten(anliegen) ein Artikulationsforum bieten. Hinzu kommt die Aufbereitung und Präsentation als Ausstellung, wobei hier der Inhalt aber immer über der Form stehen muss: gemäß der präsentierten Kunst selbst. Sinn macht das "laute, direkte Spektakel", denn hier soll ja der Inhalt ins Volk gelangen, sowie die differenziert-außergewöhnliche Umsetzung als künstlerisch hochwertiger Akt. (Die derzeit invasionsartigen, wichtigen Themenausstellungen über die weltweite Klima- und Ökologie-Problematik (siehe Ankündigungen unten) können wir erst im Ganzjahresranking mitbewerten.)


intimacy: art -
HALBJAHRES-KUNSTRANKING 2007,
KATEGORIE III "REPORTAGE-KUNST"

Platz 1
KUNSTHALLE WIEN für DIE TOTEN / THE DEAD - Hans-Peter Feldmann. RAF, APO, Baader-Meinhof: 1967-1993, 16. März – 29. April 2007 im Schwerpunktthema des Jahres LIEBE, TOD und TRAUMA

Platz 1 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": Die Kunsthalle Wien mit DIE TOTEN, worin Hans-Peter Feldmann Todesopfer-Zeitungsbilder der Terristengruppe RAF gesammelt und mit Todesdatum versehen hat. Hier Ausschnitt mit RAF-Führer Andreas Baader, der sich am 18.10.1977 im Gefängnis erschossen hatte: Foto © VBK, Wien, 2007, Courtesy: Hans-Peter Feldmann, Düsseldorf

Begründung: Direktor Gerald Matt trifft auf urbanem Niveau das gefühlsmäßige Jetzt.
Es ist zwar fakt, dass Deutschland schon viel früher über die RAF sprach - denn die Ausstellung über die gesammelten Toten-Bilder von Hans-Peter Feldmann sorgte dort zuerst für Tumult - doch liefert das Überdenken der Motivation dieser Terrorgruppe mehr als nur eine lehrreiche Parallele zum jetzigen Al-Kaida-Terrorismus und seinen Umgriffen unter Immigranten und Intellektuellen. Bei einer umfassenden, journalistischen Aufarbeitung mit historischen Zeitungs- und Videodokumenten, sowie Rahmendiskussionen, hat die Kunsthalle Wien ganze Aufklärungsarbeit geleistet. - Selbst wenn es künstlerisch umstritten ist, wenn jemand einfach nur Toten-Bilder aus Zeitungen sammelt und deren Todesdatum darunter schreibt. Dem Effekt der Beachtung hat es keinen Abbruch geleistet. Dazu paßt als weltmachtpolitischer Rahmen allen Übels: das gesellschaftliche Porträt aus künstlerischer Sicht am Anfang des Jahres bei der Ausstellung AMERICANS - Meisterwerke amerikanischer Fotografie von 1940 bis heute, worin Robert Frank in 13 Bildstrecken amerikanischer Fotografen die US-Gesellschaft in ihrer jüngsten Geschichte mit ihren "Wunden" zeigte. Im Gegensatz dazu wurde der große Für- und Gegenspieler Asien, ebenfalls mit seinen Unsicherheiten präsentiert: in ELASTIC TABOOS - Koreanische Kunst der Gegenwart; wobei LUCA FACCIO in eigener Ausstellung ornamentale Massenstaatsbilder der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik den individuellen Portraits seiner Bewohner gegenüber stellte. Mit dem chinesischen Avantgardistn CHEN ZHEN (1955–2000) wurde wiederum die fragil-bedachte Seele eines großen, poetischen Künstlers und damit des buddhistischen Volkes offenbart, indem Zhen aus echtem körperlichem Langzeitschmerz heraus werkte - mit Blick auf den Tod. Der Tod und die Ohnmacht ist also bis zur Mitte des Jahres allzeit präsent; er wird im Todesmonat November mit zwei Ausstellungen noch einmal einen poetisch-literarischen Höhepunkt erfahren; doch zuvor kommt es zum alles überstrahlenden Liebes-Aufbruch durch TRUE ROMANCE im Oktober. Ob das Besprechen des Todes die zuletzt vermehrten Freitode in der Kunstszene erhöht, oder ob Selbstmord tatsächlich ein Symtom für eine gegenwärtige Zeitstimmung ist - diese Fragen bleiben offen. Sie sind aber auf alle Fälle da, und gehören von denen, die verstehen-wollen, analysiert, um gegebenenfalls entgegen zu steuern.


Platz 2
GALERIE HOHENLOHE WIEN für RÜCKBLICK - Galerie Hohenlohe 1999 – 2007, anläßlich des Freitods von TERESA HOHENLOHE bis 31.12.2007, und vor allem für deren noch kuratierte Ausstellungen mit CORNELIA SCHMIDT-BLEEK - The Simple Task Of Tenacity, 30.03. – 19.05.2007 und MICHAEL KIENZER - Details, 16.02. – 24.03.2007

Platz 2 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": GALERIE HOHENLOHE für CORNELIA SCHMIDT-BLEEK und MICHAEL KIENZER, bevor die Galeristin Teresa Hohenlohe sich selbst mit ihrem Freitod zum ergreifendsten Report machte - derzeit ziert das Bild Wolke (2002) des von ihr betreuten Künstlers Simon Wachsmuth das Cover der Homepage mit Ausstellungsankündigung Rückblick

Begründung: Eine geschmackvoll verantwortungsbewußte Frau als bitteres Fallbeispiel.
Das Echte ist immer die größte Reportage - und sie ist das schrecklich Bestätigendste eines allgemeinen Gesellschaftsgefühls. Die sehr geschätzte Galeristin, Teresa Hohenlohe (geb. am 19. Juni 1964 in Mailand als Teresa Bulgarini, hinterläßt eine 17- und eine 8-jährige Tochter aus erster Ehe mit dem Journalisten Karl Hohenlohe), nahm sich nach einem unbegründbaren Panikanfall am 22. August 2007 das Leben - obwohl sie kürzlich erst ihren Co-Galerieleiter seit Ende 2005, Kunsthistoriker Franz Seilern, geheiratet hatte. Sie ist damit hoffentlich der letzte Todesfall in der Kunstszene (denn nach jedem Tief muß ja das Hoch kommen ... und in den jetzigen optimistisch-utopischen Themen-Ausstellungen ist es bereits da!). Dafür gibt es aber nicht den zweiten Preis im Reportage-Kunstranking, sondern für Teresa Hohenlohes selbstkuratierte Ausstellung The Simple Task Of Tenacity (or How can you not plant roses when the forests are burning?) von CORNELIA SCHMIDT-BLEEK. Die Künstlerin setzt in poetisch-romantischer Form Pflanzen mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Modellen in Beziehung, wobei sie sich insbesondere mit "Defiant Gardens" - trotzigen und widerspensigen Gärten - gegen die extremen sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen aufbäumte. MICHAEL KIENZER verkehrte indessen in der Ausstellung Details, wie gewohnt, gesellschaftliche Wahrnehmung ins Gegenteil, und in der Galerie auf besonders minimalistische Weise durch Verkehrung von Aluminium und Holz, und damit Kälte und Wärme, totem und lebendem Material. In diesem Sinne steht das für die gesellschaftliche Revolution und Neuorientierung durch ihre Gegenstände, die aus vertrautem Umfeld von Dekonstruktion über Transformation, Verfremdung bis zur Rekonstruktionin in einen neuen Kontext gestellt werden.


Platz 3
LENTOS KUNSTMUSEUM LINZ für FUTURESYSTEMS : RARE MOMENTS - Die Zukunft in der Gegenwart träumen, 17.3. bis 10.6.2007, ex aequo mit GENERALI FOUNDATION für EXIL DES IMAGINÄREN - Politik Ästhetik Liebe, 18.1. bis 29.04.2007

Platz 3 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": LENTOS LINZ für FUTURESYSTEMS : RARE MOMENTS, wo Künstler wie hier, Martin Walde, in Frog Chorus eine utopisch hoffnungsfrohe, idyllische Welt erschufen

Begründung: Kunst als Utopie voll von Zuversicht.
Das Lentos Linz präsentierte mit FUTURESYSTEMS : RARE MOMENTS - Die Zukunft in der Gegenwart träumen als eines der wenigen Ausstellungshäuser Österreichs Kunstwerke als Utopien, die aus politischen Freiheitskonzepten schöpfen bzw. politische Alternativen mithilfe der Kunst vermitteln. - Das stärkt einerseits die Stellung von Kunst als selbstbewußter Hoffnungsträger für die gesellschaftliche und kunst-eigene Zukunft, andererseits bringt sie Charme, Witz und Leichtigkeit ins kulturelle Klima, auch formal. Auf der harten Elektrogitarren-Installation From Here To Ear von Céleste Boursier MOUGENOT (F) sitzen etwa poetisch-zarte Singvögel, Martin WALDEs (A) Frogchorus enthält lustige, fröhlich schwimmende, frisch-grüne Frösche; weitere Arbeiten von Carolina CAYCEDO (GB); Olafur ELIASSON (DK), Leandro ERLICH (ARG), Michael KIENZER (A), Job KOELEWIJN (NL) geben vor allem mit Wahrnehmungskonventionen störenden Wandflächen zu denken. Dass das Lentos außerdem reportagemäßig themenvielfältig-visionär auf vorbildlichem Weg ist, beweisen die Ausstellungen 2007: VIDEO AS URBAN CONDITIO im April/Mai, worin die schleichende Präsenz des Videos im öffentlichen Alltag als Ware, Identitäts- und Sehn-Suchtspender beleuchtet wird, MUSEEN IM 21. JAHRHUNDERT: Ideen, Projekte, Bauten (eine übernommene Ausstellung des Art Centre Basel) Anfang des Jahres, wo die Architektur von 27 Museen in vier Kontinenten und deren "religiöse Macht" als Ruhepol im unsicheren Globalismus präsentiert wurde, sowie zuletzt die Ausstellung mit dem polnischen Künstler MARKO PELIJHAN als Featured Artist der ARS ELECTRONICA, der sich mit Radiowellen auf Basis gesammelter Messdaten Gedanken über die globale Telekommunikation und ihre Auswirkung auf Wetter, Klima und Migration macht, einschließlich einer Expeditionsdokumentation zu Arktis und Antarktis - das fällt aber nicht in die offizielle Berechnung, da sie erst im September anlief.

Platz 3 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": GENERALI FOUNDATION für EXIL DES IMAGINÄREN - Politik, Ästhetik, Liebe, weil schon Anfang 2007 Hoffnung durch politikkritische Liebe im Konzeptualismus gespendet wurde, wie durch Andrea Geyer im 16min-Video Reference over Time, worin eine Schauspielerin eine 2004er-Interpretation mit der Suche nach dem aktuell-historischen Ton für Bertold Brechts Text "Konversation unter Flüchtlingen" von 1940 probt

Die Generali Foundation hat indessen schon Anfang des Jahres proklamiert, was Galerien wie die Bawag Foundation zum Beispiel erst jetzt mit der laufenden Ausstellung Romantischer Konzeptualismus bis Ende 2007 angegegangen sind: Romantik in den oft trockenen, eher wortreichen als bildklaren (politischen) Konzeptualismus zu bringen und dabei sogar von Liebe und Ästhetik zu sprechen. Auch wenn die ausstellungsmäßige Umsetzung und Werkauswahl in der Bawag Foundation dann geschmackvoller und gezielter wirkte. - Weshalb die Kuratorin der Bawag Foundation, Dr. Christine Kintisch, wahrscheinlich künftig auch die Ausstellungen der Generali Foundation unter dem Namen "FOUNDATION(s)QUARTIER" bespielen wird, nachdem sich beide Unternehmen ab 1.1.2008 als kulturelle Partnerschaft unter demselben neuen Namen zusammen legen werden. Dr. Sabine Breitwieser wird nicht mehr zur Verfügung stehen, obwohl sie - wie gesagt - 2007 thematisch in EXIL DES IMAGINÄREN - Politik, Ästhetik, Liebe, konzipiert von der Gastkuratorin Juli Carson, die Nase vorn hatte. Für diese indirekte Zuversicht und Betonung der Liebe als kritisches Medium in politisch turbulenten Zeiten, mit Werken von Andrea Geyer, Ken Gonzales-Day, Sharon Hayes, Adrià Julià, LTTR, Dorit Margreiter, Stephanie Taylor, Kerry Tribe, Bruce Yonemoto, Dolores Zinny/Juan Maidagan, im vielfach todesstimmigen Kunstjahr 2007 bekommt sie Platz 3. Was bei ihr leider immer schwer verständlich ist, sind die sprachlichen Vermittlungen. Kürzer und klarer wäre besser als diffuse Bleiwüsten. Worum es im Kern ging, war die Suche nach dem „Konzeptuellen Unbewussten“ - wo auf poetische und surreale Weise Kunst und ihr Verhältnis zur Politik hinterfragt wird. Wahlkampfpolitik, Immigration, Vietnamkrieg, Rassismus und aktuelle politische Tendenzen in den Vereinigten Staaten, kulturelle Transformation und Institutionskritik schlugen sich in den Medien – Skulptur, Performance, Gesang, Film, Video und Fotografie – nieder.


Platz 4
BAWAG FOUNDATION für CANDICE BREITZ - Working Class Hero (A Portrait of John Lennon), 15.12.2006 - 14.3.2007 und RODNEY GRAHAM - Lobbing Potatoes at a Gong, 30.3. - 16.6.2007

Platz 4 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": BAWAG FOUNDATION für CANDICE BREITZ - Working Class Hero, wo John-Lennon-Fans aus aller Welt auf makabre Weise, aber echt gefiebert, zu dessen Songs per Kopfhörer laut mitsingen. © Candice Breitz Stills 2006, Länge: 40 min

Begründung: Klar vermittelter Konzeptualismus mit Witz und Gefühl.
Hat die Generali Foundation - wie in Platz 3 erwähnt - das Gefühl im Konzeptualismus vorweg genommen, so bestach die Bawag Foundation Anfang des Jahres dabei durch Witz: die Reportage-Film-Dokumentation von CANDIZE BREITZ, worin er verschiedene Fans aus aller Welt, in nebeneinander aufgestellten Monitoren gleichzeitig John-Lennon-Songs nachsingen ließ, war umwerfend komisch und vermittelte, wieviel Emotion der Mensch in seinen einsamen Stunden in eine musikalische Projektionsfigur verlagert. Einerseits ist das erschütternd, andererseits rührend, weiters unterhaltend. Dazu gab es monumentartige Fotos von den singenden Fans. Und auch die Folgeausstellung RODNEY GRAHAM war eine ironische filmisch-fotografische Auseinandersetzung als Trilogie des Künstlers und Musikers aus Kanada mit Bands der 70er Jahre und deren Bezüge zur Geschichte, worin sich Rodney in jene Zeit versetzt, verkleidet und abbildet, um so den künstlerischen Hype zu jener Zeit zu konterkarieren. Humor in den Konzeptualismus zu bringen, darin lag bisher die Glanzleistung der Bawag Foundation. - Mit ROMANTISCHER KONZEPTUALISMUS geht es derzeit nun romantisch-nüchtern bis 1.12.2007 weiter: und auch das hat mit Werken von Bas Jan Ader, Robert Barry, Ross Birrell, Lygia Clark, Didier Courbot, Tacita Dean, Felix Gonzalez-Torres, Tomislav Gotovac, Rodney Graham, Henrik Håkansson, Mathilde ter Heijne, Susan Hiller, Douglas Huebler, Kollektiven Aktionen, Louise Lawler, Yoko Ono, Kirsten Pieroth, Allen Ruppersberg, Frances Stark, Jan Timme, Andy Warhol, Lawrence Weiner, Cerith Wyn Evans durchaus seinen politisch relevanten Witz, weil hier zwei gegensätzliche Ansätze auf paradoxe Weise auf einen Nenner kommen.


Platz 5
SECESSION für insbesondere ANTJE SCHIFFERS - Grosses Bauern-Theater, 6. 7. – 9.9. 2007, neben dem beinah gesamten Jahresprogramm

Platz 5 im intimacy: art-Kunstranking, Kategorie "Reportage-Kunst": SECESSION für ANTJE SCHIFFERS - Grosses Bauern-Theater. In der abgebildeten Installation schafft ein in einen Nutzkarren eingebauter Fernseher eine gegenpolige Spannung von ländlicher Weltfremdheit zu weltmedialer bzw. künstlicher Aktualitätshektik

Begründung: Konzeptualismus vermengt sich unkonventionell mit ländlichem Alltag.
Abgesehen davon, dass die Secession im Grunde nur Poltik-, Wirtschafts- und Ökologieforschung in ihren Ausstellungen betreibt, um Gefahren der Welt - stets aus sehr individueller Sicht einer Künstlerpersönlichkeit - mit provokanten Kommentaren zu konfrontieren, gelang heuer mit ANTJE SCHIFFERS und ihrem Grossen Bauern-Theater nicht nur stilistisch eine schöne und originelle Objekt-Komposition, sondern mit dem Bauernumfeld als Natur-Gegensatz zur Kunst auch ein neuer, subtiler Zugang. Die viel reisende, sprachbegabte Künstlerin arbeitet sich in die Lebenswirklichkeiten verschiedener Gesellschaftsgruppen ein, um deren ökonomische, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen – auf lokaler wie globaler Ebene – aus distanziertem Kunstblick zu hinterfragen. In diesem konkreten Fall schafft sie eine interessante Diskussion, indem sie nach Aufenthalt bei Bauern in Niederösterreich ländliche Utensilien und Nutzgegenstände mit künstlichen Fortschrittsmedien kombiniert - das irritiert bis zur komischen, bühnenbildhaften Wirkung. Ansonsten wartete die Secession heuer mit JUDITH HOPFs aus gesellschaftspolitischem Unbehagen heraus entwickelten, theorielastigen, sehr abstrakt-objekthaften Co-Produktionen mit anderen Künstlern auf, ANDREA BOWERS´ rührender Dokumentation The Weight of Relevance über Beaufsichtiger des "Aids-Quilts", einem politischen Aktivismus-Resultat in Wechelwirkung von Politik und Kunst, LEOPOLD KESSLERs öffentlicher Raum-Interventionen in Form von Skulpturen im Film, die Lücken im Gemeinschaftsraum zeigen, Filmen über das derzeit ideologische Vakuum des litauischen Künstlers DEIMANTAS NARKEVIČIUS in Bezug zur kollektiven, osteuropäischen Geschichte, JENS HAANINGs Arbeit über Wert und Bedeutung des Geldes anhand eines ausgerechneten Jahreseinkommens eines österreichischen Durchschnittsbürgers, und im Sommer mit einer Objektinterventionen im Secessionsgarten als kritisch-ironische Auseinandersetzung mit dem historischen Secessiongebäude, wo Künstler AZRA AKŠAMIJA eine Kunstmoschee "aufstellte", BAUMÜLLER / HOFMANN Die Wursthaberer und TATZU NISHI Hier entsteht ein Hotel. Derzeit befaßt sich Däne TUE GREENFORT in assoziationsreich pfeilscharfer und doch subtil-eigenwilliger Weise mit Ökologie-Phänomenen, sowie Pole PIOTR UKLAŃSKI über eine trashige Rieseninstallation mit Hollywood-Schauspielikonen neben russischen Staatsrelikten und dem Hintern seiner kuratorischen Freundin.


Platz 6
KUNSTHALLE EXNERGASSE im WUK für QUANTITY AS QUALITY; 1.02.2007 – 03.03.2007 und für A FOREST AND A TREE, 15.03.2007 – 14.04.2007

Begründung: Irritation durch Gegen-Klischee-Läufe.
Mit der Behauptung in Quantity as quality, dass Quantität durchaus Qualität bedeuten könnte, falls das billig erzeugte Massenprodukt in seiner breiten Verfügbarkeit zum sozialen Gemeinschaftserlebnis wird, ist dem WUK ein eigenwilliger Zugang als Diskussionsauftakt gelungen. Die Künstler Pawel Althamer, Carol Bove, Deborah Ligorio, Wolf von Kries, Tilman Wendland, Cathy Wilkes und Andreas Zybach spielten sich mit dem Paradoxon von Seltenheit und Massenerlebnis, Eitelkeit des Konsums und Fragilität eines gemeinsam geteilten Erlebnisses. In a forest and a tree bestachen dann Yael Bartana, Phil Collins, Esra Ersen, Jakup Ferri, Emily Jacir, Ahmet Ogut, Sislej Xhafa durch die provokante Anklage innerhalb des Kulturbetriebes, als Nicht-westliche-Länder-Künstler in Ausstellungen hauptsächlich auf ihre kulturelle Herkunft hin reduziert und dadurch zur Marke der "Anderen" gestempelt zu werden. Derzeit läuft die Ausstellung NACHVOLLZIEHUNGSANGEBOTE mit Werken zur Klima-Debatte als Angst-Industrie von Ursula Biemann, Tue Greenfort, Anne König/ Jan Wenzel/ Jan Caspers/ Alexander Hempel, Kristina Leko, René Lück, Lars Mathisen, Ariane Müller, Nils Norman, Dan Peterman, Aasa Sonjasdotter, Simon Starling, Ingo Vetterzur.

Platz 7
GALERIE IM TAXISPALAIS - Tirol für ARMIN LINKE / RENATO RINALDI / PIERO ZANINI - Bruchstücke einer Alpen-Analyse, 23.6. – 5.8.2007, CHARLOTTE SALOMON - Leben? Oder Theater?, 16.3. – 3.6.2007, und ROMAN ONDÁK, 19.1. – 4.3. 2007

Begründung: Dreimal andere lebens- und alltagsnahe Unkonventionalität.
Die tiroler Galerie im Taxispalais hat sich bis zur Jahresmitte dreimal neu erfunden, indem sie jedesmal einen ganz anderen unkonventionellen, thematischen Zugang gefunden hat, dabei aber durchgehend von allgemeinem Interesse blieb: ROMAN ONDÁK fängt zu Jahresanfang auf subtile Weise gesellschaftliche Verhaltensformen, Wünsche, Ideen oder Fantasien ein, indem er etwa in der Serie Futuropolis (2006) seine Freunde und Verwandten Bilder von ihrer Vision einer Megalopolis der Zukunft zeichnen oder Menschen in Performances "sittenwidrig und doch üblich" durch eine Ausstellung oder in ein Ausstellungsfenster blicken lässt. Die Arbeiten von CHARLOTTE SALOMON sind ganz anders ein Geschichtsdokument aus autobiografischen Lebensablauf-Zeichnungen, die die Künstlerin als Bild-Theater-Zyklus mit Text während iher Emigration als Jüdin zwischen 1940 und 1942 geschaffen hat, bevor sie in Auschwitz ermordet wurde. Und mit dem Autorentrio um ARMIN LINKE machte die Galerie mit einem filmischen Work-in-Progress-Projekt und Installationsessay auf das Alpin-Ökologiesystem aufmerksam.

Platz 8
THYSSEN-BORNEMISZA ART CONTEMPORARY für SHOOTING BACK, 6.6. - 16.12.2007

Begründung: Einblick in Randgruppenwahrheiten und -identitäten
Folklore, Rituale und Spiritualität von Künstlern aus aller Welt, die unter gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen und Mächten vorwiegend über filmisch-ethnographische Arbeiten in ur-eigenster Reflektion und Unsicherheit gegenüber Tradition und Neuaufbruch bis zum gefühlten Werteverlust sprechen, sind die Hauptthemenfelder in Francesca von Habsburgs Thyssen-Bornemisza Art Contemporary im ersten Wiener Bezirk. Die Bespielung der früheren Wohnung der Familie - einschließlich des Dachbodens mit dem Projekt des indischen RAQS MEDIA COLLECTIVEs, das über 18 Fernseher ein hinduistisch-mythenreiches Rätsel umsetzt - verströmt einen unbefangenen, lausbübischen Charme von Privatheit, was wiederum eine überhöhte Präsentation der Werke als Besonderheiten verhindert. Man nimmt die Vielzahl der Werke mit fast hysterisch orientierungslosem Staats-, Traditions- und Leitfiguren-Mißtrauen letztendlich nicht ernst, schon weil vieles - auch formal - nicht ausgereift scheint. Die Ansätze sind aber immerhin bemerkenswert eigenwillig: Libanese AKRAM ZAATARI setzt sich mit Fotos von küssenden (homosexuellen) Menschen um 1958 auseinander, was im Land jedoch verboten war. Seit Landsmann WALID RAAD betont die Einschußlöcher von Häusern in Kriegszeiten mit Riesenpunkten. Amerikaner SEAN SNYDER beschäftigt sich mit der Ikonografie von Kriegsbildern. Indio-Amerikaner BRAD KAHLHAMER zeichnet (gut) ein Totenkopfgemälde in indianisch-kultischer Tradition. Bei Rumänin ANETTA MONA CHISA & Slowakin LUCIA TKACOVA sind in Film-Perfornances Auseinandersetzungen mit Karl Marx und Geschlechter-Erbe vorzufinden. Kroatin SANJA IVEKOVIC befriedigt sich, für die Allgemeinheit unsichtbar, selbst am Balkon, während 1979 Staatsherr Tito einfährt, woran sie ein dachstationierter Polizist aus Gefährdung öffentlicher Sicherheit hindert. Serbe ZELIMIR ZILNIK zeigt im Film, wie sehr überlieferte, ungarische Balladen im emotionalen Alltag des einfachen Volkes heute noch verfestigt sind. Amerikanerin CATHERINE SULLIVAN macht sich in Musicalprobenpraxis auf vier Bildschirmen Gedanken über Russen und Tschetschenen. Taiwanese CHEN CHIEH-JEN entschlüsselt eine öffentliche Hinrichtung als ikonographischen Ausgangspunkt für ekstatisch-religiöse Fotografien. Die Inder RITU SARIN und TENZING SONAM intenisiveren die eintrichternde Lehrpraxis von Buddhistischen Mönchen im Film durch einen schreienden Lehrer und einen einfältigen Schüler. Türke KUTLUG ATAMAN bewegt sich provokant als Bauchtänzerin, womit er mit Homosexualität und männlicher Einfühlung in eine Frau in der Türkei provoziert.

Platz 9
SAMMLUNG ESSL für CHINA NOW - Kunst in Zeiten des Umbruchs bis 25.02.2007 ex aequo mit KUNSTHALLE KREMS für JAPAN - Meiji-Kunst der Sammlung Khalili und Japonismus von Van Gogh bis Schiele, 25.2.- 3.6.2007; für ROMA & SINTI - 'Zigeuner-Darstellungen' der Moderne, 17.6. - 2.9.2007; und für CHRISTINE und IRENE HOHENBÜCHLER - ...ansehen als..., 11.3. - 3.6.2007

Begründung: Ethnolight auf Asien und Minderheiten.
Ähnlich wie die Kunsthalle Wien mit "KOREA" heuer ein breites Spektrum über die dortige Gegenwartskunst, quer durch alle medialen Sparten gezogen hat, so ist das zuvor schon in der Sammlung Essl bei CHINA geschehen. 100 Werke von 42 KünstlerInnen wurden gezeigt, zum Grossteil aus der Sammlung Essl und teilweise formal hochwertig. Vor den jüngsten gesellschaftlichen Umbrüchen von Kommunismus zu Kapitalismus, Globalisierung, von der Masse zum Individuum, zeigt sich die chinesische Avantgarde mit sozialkritisch-hyperrealer, rebellischer Foto- und Comic-Nähe wie von ZHANG BIN, CHI PENG, YUE MINJUN und WANG DAJUN bis zu Performance-Art, auf dem Weg vom Underground zur internationalen Beachtung. Die Kunsthalle Krems schuf indessen Durchblick über die Welt der SINTI und ROMA, und die Art des Blicks darauf seitens historischer bis heutiger Kunstwelt, nachdem sie zuvor schon "JAPAN" ähnlich breit dokumentierte. Mit den HOHENBÜCHLER-Zwillingsschwestern aus Wien gelang denn quer durch viele mediale Wege der Blick auf Randgruppen wie aus Psychiatrie und Gefängnis.

Platz 10
WIEN MUSEUM für GANZ UNTEN - Die Entdeckung des Elends - Wien, Berlin, London, Paris, New York, 14.6. - 28.10.2007

Begründung: Wiens Geschichte und Eigenheiten.
Dass EMIL KLÄGER - ganz der Anwaltsjournalist - 1904 mit dem Amateurfotografen HERMANN DRAWE die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens durchstreifte, um dann darüber zu berichten, ist heute noch spannend, weil es bahnbrechend für einen Typus des Journalismus wurde. Dem stellt das Wien Museum die internationalen Antworten gegenüber, indem etwa eine KÄTHE KOLLWITZ Plakate zur Bekämpfung der Armut in Berlin zeichnete. Vom Elend des jüdischen Wiens bis zur New Yorker Szene ist da die Rede, wo im Zuge der Urbanisierung alles zusammen zu brechen schien, was wiederum die Neugier für "Unten" in der Kunstwelt anheizte. Die Ausstellung ist sowohl poetisch - mit Begehungszonen aus Ton und Bild - als auch "echt" reportagemäßig aufgezogen. Das war auch schon der Zugang in Flucht nach Wien, Ungarn 1956 zu Jahresbeginn. Im Wirtshaus - Eine Geschichte der Wiener Geselligkeit ist dagegen inhaltlich zwar aufschlußreich, ästhetisch allerdings überladen. Und Am Gänsehäufel - Ein Strandbad wird 100 hat die Atmosphäre einer Elisabeth T. Spira-Alltagsgeschichte zugeschlagen, das trifft daher wirklich nicht jedermanns Geschmack.


Laufende und nachzulesende "Reportage"-Ausstellungen

* True Romance - Allegorien der Liebe von der Renaissance bis heute * Von: Kunsthalle zu Kiel in Kooperation mit der Kunthalle Wien und dem Museum Villa Stuck, München * Ort: KUNSTHALLE wien, halle 1 * Zeit: 05.10.2007 - 03.02.2008
* Viva la muerte - Der Tod in der hispanischen Kunst * Ort: KUNSTHALLE wien, halle 2 * Zeit: 17.10.2007 - 17.02.008
* Ricky Swallow * Ort: KUNSTHALLE wien project space * Zeit: ab 09.11. 2007
* exitus - tod alltäglich * Ort: k/haus * Zeit: bis 6.1.2008

* Rückblick - Galerie Hohenlohe 1999 – 2007 * Ort: Galerie Hohenlohe, Bäckerstraße 3, Wien 1 * Zeit: bis 31.12.2007
* Ursula Mayer - Zeitkristalle | The Crystals of Time 5 * Ort: Lentos Linz * Zeit: 12.10.2007 - 17.2.2008
* Anna Oppermann - Ensembles * Ort: Generali Foundation Wien * Zeit: 27.9. - 16.12.2007
* Romantischer Konzeptualismus * Kurator: Jörg Heiser * Ort: Bawag Foundation * Zeit: 14.9. – 1.12.2007
* Tue Greenfort - Medusa und Piotr Uklański - A Retrospective * Ort: Secession Wien * Zeit: 20.9.-18.11.2007
* KORPYS / LÖFFLER - Mediale Politik-Repräsentations-Hinterfragung * Ort: Secession Wien * Zeit: 29.11.2007-27.1.2008
* Nachvollziehungsangebote * Kuratorinnen: Sophie Goltz und Vera Tollmann * Ort: Kunsthalle Exnergasse im WUK * Zeit: 20.09. - 20.10.2007
* Waypoint´s like Sharon Stone´s * Afrikanische und afrikanisierte Handlungsräume in Bezug zu Wien * Ort: Kunsthalle Exnergasse im WUK * Zeit: 8.11. - 8.12.2007
* There is no border, there is no border, there is no border, no border, no border, no border, I wish * Ort: Galerie im Taxispalais, Tirol * Zeit: 1.9. – 14.10.2007
* Heidrun Holzfeind - Mexico 68 - Moderne Architektur Sicht auf die Studentenbewegung 68 in Mexico & Kateřina Šedá - „Je to jedno“ („Es ist alles egal“, 2005 – 2007) - Grossmutter-Auseinandersetzung * Ort: Galerie im Taxispalais / Tirol * Zeit: 24.11.2007 - 20.1.2008
* Shooting Back * Ort: tba-21, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Himmelpfortgasse 13, 1010 Wien * Zeit: bis 16.12.2007
* Ganz Unten - Die Entdeckung des Elends - Wien, Berlin, London, Paris, New York * Ort: Wien Museum Karlsplatz * Zeit: 14.6. - 28.10.2007
* Baby an Bord - Mit dem Kinderwagen durch das 20. Jahrhundert * Ort: Wien Museum Karlsplatz * Zeit: 18.10. - 13.1.2008
* ACTIVE AGENTS * Co-Produktion mit "steirischer herbst" + Medienturm Graz * Ort: Kunstverein Medienturm Graz * Zeit: 25.09.- 24.11.2007
* asphixia in memoriam anna politkowskaja * Performance-Matinée zu Programmreihe im Kontext „Auseinandersetzung mit Geschichte“ * Ort: MAK-Gegenwartskunstdepot Gefechtsturm Arenbergpark * Zeit: Sonntag, 7.10. 2007: 11h
* archdiploma 2007 - die Architekturbiennale der TU WIEN zeigt die besten Diplomarbeiten: analog + DIGITAL * Ort: KUNSTHALLE wien project space karlsplatz * Zeit: 4.-30.10.2007
* Omer Fast – The Casting * Genial-surreales Fantasie-Doku-Video * Ort: MUMOK in der Factory * Zeit: 5.10.2007- 20.1.2008
* Keren Cytter – The Victim * Kurzfilm über Medien und ihre Rollenbilder * Ort: MUMOK* Zeit: 1611.2007- 20.1.2008
* Fotograf Kurt Kaindl – Die unbekannten Europäer * Texte von Karl-Markus Gauß und Fotos * Ort: Museum für Volkskunde Wien * Zeit: bis 23.3.2008

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