Sunday, November 19, 2006

EXPERIMENTE - WIE GROSSE KÜNSTLER ZUM ALBTRAUM WERDEN



Porträt: Komponist Bernhard Lang hat entweder zuletzt zu viele Aufträge angenommen oder Lust am öffentlichen Scheitern. © G. Hipfl

Filmstill rechts: Medienkünstler Norbert Pfaffenbichlers Notes on Film 02 mit Annäherung zum Spielfilm: ein Experiment, das leider nicht aufgegangen ist. 2006 © Österreichisches Filmmuseum.



KOMPONIST BERNHARD LANG SAUST MIT ZWEI UNFERTIGEN VERSUCHSPROJEKTEN IN DEN KELLER - MEDIENKÜNSTLER NORBERT PFAFFENBICHLER MIT SEINEM INKONSEQUENTEN "SPIELFILM"

Eigenartig, wie hoch man einen Künstler nach einem gelungenen Werk stellt und wie tief man ihn fallen läßt, wenn er einen sprichwörtlichen Krampf abliefert - der Krampf ist meist Resultat einer nur ansatzmäßig ausgeführten Arbeit. Bernhard Lang, gerade mit seiner genialen Komposition der Oper I hate Mozart zum "Mozart" unserer Zeit gefeiert, zeigte auf diese Weise, dass er doch nur ein experimentierender Mensch ist, und in seltenen Fällen ein Genie.

Norbert Pfaffenbichler, als Medienkünstler bisher durch extreme Ästhetik und konzeptuelle Exaktheit in Kurzfilmen bekannt, ist in Notes on Film 02 - das im Filmmuseum zu sehen war und verständlicherweise schwer woanders unterkommt - gerade Ähnliches passiert. Ist es ein Zufall, dass dabei Bernhard Lang die Musik komponiert hat?

LANGS QUÄLENDES EXPERIMENT

Bernhard Lang - Personale-gewidmeter Star des zeitgenössischen Musikfestivals Wien Modern 2006 - kann mit seiner Musik sogar ein regelrechter Quälgeist sein, wie an seinem Duo-Abend mit Philip Jeck im Wiener Konzerthaus zu hören war. Während Jeck mit Turntables den Raum elektronisch füllte - was noch etwas Linie zu haben schien - patzte Bernhard Lang mit seinem Laptop (Electronic devices) irgendetwas zusammen. Diese Geräusche-Beliebigkeit mißfiel dem Publikum sichtlich, der Applaus war bescheiden und kurz. Gestaunt werden konnte nur über die "komischen" Instrumente: Nämlich dass zwei Computer abendfüllend sein können - wenn sie es denn auch können (!).

PFAFFENBICHLERS UNERTRÄGLICHES EXPERIMENT

Langs Musik in Norbert Pfaffenbichlers Film - der absurderweise von Filmmuseum-Chef Alexander Horwath "Spielfilm" genannt wurde - macht zwar mehr Sinn, vermag es (wegen des Films) aber nicht, als sinnvoll haften zu bleiben. Notes on Film 02 ist konzeptuell von der Idee getragen, Film als Sprache zu verstehen, wobei der Zuschauer in die Rolle des Cutters schlüpft, der beim Schneiden im Vorlauf immer wieder dieselbe Szene ansehen muß, bis er nur noch ihre Oberfläche und nicht mehr den Inhalt sieht.

Inhaltlich basiert der Film in wenigen Handlungsszenen auf den 26 Buchstaben des Alphabets. Darin ist einem Pärchen gegensätzlicherweise die Kommunikation abhanden gekommen, was formal 26 mal pro Einstellung, mit jeweils nur leichten inhaltlichen Variationen, umgesetzt ist, sodass sich wiederholte Beziehungsmonotonie einstellt. Mann und Frau haben darin ihre Bilder von einander im Kopf und Angst davor, mit dem Be- bzw. Aussprechen ihrer wahren Persönlichkeiten den gegenseitigen Bezug zu verlieren. Da hilft es auch nicht, dass die Frau andauernd (von Ursula Strauss schlecht gespielt) sagt, "sprich mit mir".

Die dominante Form der Oberfläche bzw. der Wiederholung - das Wesen des Films schlechthin - zerstört letztenendes die Beziehung. Oder: Die Rationalität der gelebten Alltagsrituale zerstört die irrationale Gefühlswelt. Das konfrontiert Pfaffenbichler wiederum mit dem Zitat Adornos, das besagt, dass auch die Kunst ihre jeweilige Gesellschaft irgendwann überholt, indem sie sich durch ihre strikten, innewohnenden Gesetze zerstört.

JEDES GENRE HAT SEINE GESETZE

Ist die Idee dieses Werks reif durchdacht, so bleibt dennoch zu fragen, wie man das formal ausdrücken kann, ohne die Nerven des Zuschauers 96 Minuten auszureizen. - Noch dazu, da Pfaffenbichler ohnehin etliche formale Kompromisse an Inkonsequenzen innerhalb seiner Logik zuließ. Da nützt auch der ungemeine Charme des Medienkünstlers (Filmemachers?) nichts, indem er die Unerträglichkeit seines Films einfach zugibt. Er soll nächstens also bitte bei der Medienkunst bleiben, oder die Medienkunst so (kurz) im Spiel- bzw. Illusionsfilm einsetzen, dass es der Gesetzmäßigkeit des Spielfilms noch entspricht.

Pfaffenbichlers Problem seiner aufgestellten Behauptung in Notes on Film 02 liegt nämlich darin, dass er von Gesetzen spricht, die es in dieser Form im Spielfilm nicht gibt! Deshalb funktioniert dieser Film auch nicht, bzw. hat er sich bereits als Kunstform gemäß Adorno überholt, bevor er als Kunst überhaupt zu existieren begonnen hat.

LASSEN SICH EXPERIMENTE VERMEIDEN?

Sowohl Pfaffenbichler als auch Lang sind anhand dieser Werke Beispiele dafür, wie man den Leuten die Lust auf Kultur austreiben kann. Andererseits wirft es die Frage auf, wie sich Künstler am Leben erhalten lassen, indem sie nur "fertige Arbeiten" veröffentlichen. - Gelingen und Scheitern gehören ja angeblich zur Kunst dazu. - Sollte das etwa auch via Ge- und Mißfallen zur Erlebnispflicht des Publikums gehören?
Prinzipiell bleibt es aber ratsam, sich als Top-Künstler solche Schnitzer nicht allzu oft zu leisten. Hoffnungsträger für Besseres im Falle von Pfaffenbichler und Lang sind glücklicherweise zwecks Wiedergutmachung in Sicht:

MEDIENKUNST Pfaffenbichler - derzeit mit dem gelungenen Werk Notes on Film 01 bis 21.1.07 im Theatermuseum zu sehen - ist gerade am Projekt Film am Bau beteiligt
MUSIK Bernhard Lang schreibt für Schwetzingen 2007 die Musik für 6 Stimmen und verstärktes Ensemble (~90') zur Oper Der Alte vom Berge.

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