Sunday, April 22, 2007

DAVID LYNCH UND ERNA ÓMARSDÓTTIR - FILM GEGEN TANZ

Erotik und Verführung - hier zwischen Nikki Grace (Laura Dern) und Devon Berk (Justin Theroux) - schweben permanent über David Lynchs Inland Empire. - Doch das steht für etwas Universelles...


WAS FÜR EINE VERBINDUNG BESTEHT ZWISCHEN DAVID LYNCH UND DEM ZEITGENÖSSISCHEN TANZ? - VIELLEICHT INSPIRIERT DER FILMEMACHER ZU UNGEWÖHNLICHEN KÖRPERBILDERN, EINES IST ABER SICHER: INTENSIV ZU BEWEGEN VERMAG EIN LYNCH DEN ZUSCHAUER NUR ALS FILM. SEIN NEUES MEISTERWERK INLAND EMPIRE UND PERFORMANCE- KÜNSTLERIN ERNA ÓMARSDÓTTIR IM VERGLEICH


Der zeitgenössische Tanz und David Lynch. Entweder es ist eine Modewelle, oder es besteht tatsächlich ein Zusammenhang:

Dass es unter Tanzleuten relativ schnell zu Moden kommt, liegt daran, dass kaum in einem Kunstgenre unter Künstlern - herzlich verbunden - mehr gesprochen und fachgesimpelt wird als im (zeitgenössischen) Tanz. - Das ist besonders auffällig, da im Kunstprodukt selbst letztendlich nicht gesprochen wird.

Der "Zusammenhang" liegt indessen darin, dass Lynch-Filme psychische Abgründe und Traumata ausdrücken. Nonverbales im Menscheninneren, das Tänzer über ihren Körper transportieren. Solche Seelentrips bedingen umso abstraktere Körperformationen. Also eine Herausforderung, die neue ästhetische Dimensionen bewirkt. So kommt es, dass Kompagnien wie die italienisch-niederländische Emio Greco / PC - heuer wieder beim ImPulsTanz-Festival zu sehen - indirekt aus Lynch-Filmen schöpfen, und Performancekünstlerinnen wie Isländerin Erna Ómarsdóttir direkt aus Lynchs Film Blue Velvet - eben im Tanzquartier zu sehen und im Sommer ebenfalls als Lehrende bei ImPulsTanz.

NEUES LYNCH-MEISTERWERK: INLAND EMPIRE

Wie es der Zufall nun will, läuft Anfang Juni ´07 in Österreichs Kinos David Lynchs jüngstes Meisterwerk Inland Empire an, das er 2006 fertig gestellt hat. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Zusammenschnitt von Experimentalfilmen, einerseits mit Lynchs "Spielzeugkamera", einem tragbaren Sony PD 150 Digital Videorekorder, mit reflexartigen Aufnahmen nach Lynchs spontanen, schrägen Ideen. So entstand eine surreale Sitcom über eine Familie aus Menschenkörpern mit Kaninchenköpfen. Andererseits drehte Lynch vor etwa drei Jahren, inspiriert von einer Reise zum Filmfestival in Lodz (Polen), vorort einen Film mit heimischen Darstellern in den alten Fabriksgebäuden. In Inland Empire werden nun Szenen daraus neben ausgebauten Monologen der Schauspielerin Laura Dern zusammen geschnitten, wobei all das durch die eigentliche Rahmenhandlung eine gänzlich neue Bedeutung bekommt und nicht mehr für sich selbst steht. Dieser Prozeß sei einer der Kreativsten seiner Karriere, sagt Lynch: "Ich kam von der Malerei. Da gibt es nur dich und die Leinwand. Digitales Arbeiten ist eine ähnliche Erfahrung, man kann tiefer eindringen." Ohne festes Drehbuch, d.h. Lynch schrieb jede Szene unmittelbar, bevor er sie drehte, wurden roter Faden und Grundthema lediglich "Angst".

... die Erbsünde, sprich Angst für die erfüllte Lust, die mit Betrug, Eifersucht und Mord einher geht, ist das eigentliche Thema in Lynchs Inland Empire. Selbst wer ständig reflektiert wie Nikki Grace (Laura Dern) und sich in der Unheimlichkeit verwirrt (hinter)fragt, kommt ihr nicht aus.

EIN RAUSCH DURCH ZEIT, ORT UND HANDLUNG

Die Sicht auf den Entstehungsprozeß reduziert den Film allerdings sehr. Tatsächlich zerschlägt dieser Film mehr als jeder andere das griechische Gesetz des Dramas von der einzuhaltenden "Einheit von Ort, Zeit und Handlung". In solchem Ausmaß hat das wahrscheinlich noch niemand gewagt. Das Bedeutende daran ist aber, dass alles als tiefere und bewußte Bedeutung wahrgenommen wird, selbst wenn sich Lynch dessen gar nicht bewußt war. Die Story, in der eine Schauspielerin (Laura Dern) nach langer Zeit wieder zu einer Hauptrolle in einem Film kommt, ist die Ausgangsbasis für die Form, die der eigentliche Inhalt ist: der Film im Film, das Springen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Sichtweisen, wobei sich sämtliche Inhalte verdoppeln und andauernd erweitert und umgedeutet werden. Im Film geht es etwa um eine verbotene Liebe, die sich als Verführung auf den verheirateten Schauspieler (Justin Theroux) und die verheiratete Schauspielerin überträgt. Und das eröffnet wiederum zum Kernthema der "Erbsünde". Begleitet von unheimlichen Weissagungen und Märchenmythen, worin es um das Versetzen in andere Szenerien, Orte und Lebensbeziehungen geht, lauert die Unheimlichkeit über den Darstellern, die sie gleichzeitig zur Versuchung animiert und in Sex, Betrug und Mord mündet.

ANGST ODER DIE LUST DER ERBSÜNDE

Angst und Erbsünde kommen in jedem Haushalt vor: bei Schloßbesitzern und Hasenhaushalten, die Lynch zwischenschneidet.

Die unerklärten Wohnortssprünge zwischen Schloßszenerie und kleinbürgerlichem Ambiente des Dern-Ehepaars, von Hollywood zu Polen, unterstrichen vom Hasen-Wohnzimmer verleihen dem Grundthema Angst, konkreter der Erbsünde, den Anspruch von Universalität. Denn die Frauen und Männer betrügen und belügen ihre Partner, obwohl/gerade weil sie es nicht sollten, weshalb es zur tödlichen Eifersucht kommt. Darüber schwebt die Faszination am Sex, der in enger Verbindung zum wechselnden Zeitgefühl zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zum Rausch auswächst. Interessant dabei der Sager der Schauspielerin Dern, der deutsch komplett falsch untertitelt wurde: "Ich hab das Zeitgefühl verloren, als würde mich ein Mann durchficken." Das ständig gebrauchte Wort "fuck" bekommt von Lynch gleich dem Sex allgemeine Bedeutung zwischen Lust, Versuchung und Angst. Die Perspektivenwechsel stehen für Reflexion und damit für die moralische Selbstjustiz des Menschen, wobei aber kein Urteil, keine Lösung angeboten wird: Ersticht sich die fiktionale Film-Frau, umgibt sich die reale Schauspielerin mit tanzenden polnischen Huren, begleitet von Nina Simones "Sinnerman" im Abspann - was anhand der Bildsprache wiederum ein versöhnendes, nonverbales "Ja" zur Lust bedeutet.

Eine große Rolle spielt in dem Film außerdem - wie so oft bei Lynch - das Ohnmachtsgefühl nach einem Schock: sei es das unerwartete betrogen und belogen werden vom geliebten Partner oder der Verlust eines Kindes. Der Schock wirft die Menschen auf die schwindelerregende Bahn, wo sie das Gefühl für Zeit, Ort und Tun verlieren. Die Dinge geraten in ihren Köpfen außer Kontrolle. Die absolute Erfüllung des Films wäre es aber nun, wenn der Zuschauer tatsächlich diese Kontrolle verlieren würde: und da muß man sagen, so spannend der Film ist, das Zeitgefühl verliert man dennoch nicht. Bei beinahe drei Stunden wird der Film bewußt als zu lang wahrgenommen.

ERNA ÓMARSDÓTTIRS LYNCH-NACHWEHE

Tanz-Performance The Mysteries of Love, inspiriert von Lynchs Durchbruch Blue Velvet: Darin geht es um die Verletzung pubertierender Mädchen, die im einen Moment blond (Margret Sara Gudjónsdóttir) und naiv (singend) sind, im anderen schwarzhaarig (Erna Omarsdottir) aggressiv kämpfend und tierisch kreischend.

Kommt man nun direkt nach Lynchs Film zum Genuß, Erna Ómarsdóttirs und Musiker Johann Johannssons Tanz-Performance The Mysteries of Love anzusehen, muß man sagen, dass diese Ausdrucksform in der Intensität für den Betrachter niemals an einen Lynch-Film heran kommen kann. Der Songtitel zu dessen Kultfilm Blue Velvet sollte zu ihrer musikalischen und getanzten Liebes-Hass-Orgie führen, wo außerdem Teenage-Horror-Movies als Inspiration heran gezogen wurden. Gehen sollte es um den widersprüchlichen Eindruck von unschuldigen Teenage-Mädchen, wobei das babyhaft singende Blondchen im rosa Kleid zum schwarzhaarigen Vamp im roten Kleid wechselt und umgekehrt, als dunkler Abgrund der pubertierenden Jugendzeit: vom leichherzigen Flirt zum Horrorszenario aus Verführung, Ekstase und Zerstörung. Die Stimm- und Kreischaktionen, körperlichen Tanzbilder und parallelen Paarläufe zwischen Ómarsdóttir und Margret Sara Gudjónsdóttir mögen momentweise recht spannungsgeladen sein, gegen einen Lynch-Film bleibt es aber etwas äußerlich Erzähltes. - Selbst wenn die Darsteller wahrscheinlich für sich selbst gewisse Grenzen durchlaufen haben mögen.


Mehr zu LYNCH und sein Verhältnis zu Polens Filmstadt Lodz gibt es auf intimacy: art, click: metanews / gossip

ACHTUNG DAVID LYNCH BESUCHT WIEN:
MATINEE Vorstellung der von Folksänger Donovan initiierten und Lynch unterstützten privaten Friedensuniversität "Invicible University" * Zusammenarbeit zwischen VIENNALE und GARTENBAUKINO * Ort: GARTENBAUKINO * Zeit: 11.11.2007: 12h - Filmvorführung: Mulholland Drive - F/USA 2001 145 min, OmU; 15h - Publikumsgespräch bei freiem Eintritt mit David Lynch und Dr. Bevan Morris, dem Präsidenten der Maharishi University of Management in den USA zum Thema „Film, Kreativität und Meditation“

FILM Inland Empire * Von: David Lynch * Verleih: www.filmladen.at * Ort: Österreichs Kinos * Zeit: ab Anfang Juni 2007
* Ort: Gatenbau-Kino Wien * Zeit: 1.-21.6.: 17h30, 20h30

TANZ Emio Greco / PC mit Programm * Erna Omarsdottir mit Damien Jalet im Workshop von 6.-10.8.2007 bei www.impulstanz.com

2 comments:

Michael Czermin said...

Ihre Anregungen zum Film von David Lynch sind schon etwas stark reduzierend, wenn auch nicht uninteressant. Das sie allerdings nicht bedenken, wenn sie den Punkt schon ansprechen, dass das Film im Film Prinzip(ja nicht zum ersten Mal in der Filmgeschichte),ja gerade zwei Fiktionen gegen einander stellt, und so nur ein weiteres Konstrukt wird, ist ein wenig ärgerlich. Ihr scheinbarer Vergleich mit der wirklich sehr guten Performance von Erna Omarsdottir ist allerdings an Kurzsichtigkeit wohl kaum zu unterbieten. Wie sie auf die Idee gekommen sind, diese beiden Kunstformen in Relation zu stellen und dann nichts vorzunehmen außer einen verkürzten persönlichen Eindruck als Wertung anzufügen ist mir schleierhaft, anmaßend und wird keinem der Werke auch nur im Ansatz gerecht.

Elfi Oberhuber / www.intimacy-art.com said...

Ja, man könnte eine Diplomarbeit über Lynch schreiben, da er alles Prinzipielle der Menschheit anspricht und darüber hinaus die meisten Kunstgesetze bricht und dabei dennoch ästhetisch in sich ruht. Mich hat hier aber hauptsächlich das Lynch-Phänomen interessiert, dass er eben sehr viele andere Künstler zu inspirieren vermag, jene an ihn aber selten heran reichen - die Omarsdottir fand ich wirklich nicht so stark. Und gegen den echten Lynch überhaupt sehr entfernt von meiner Erlebniswelt als Betrachter. Aber wenn andere da mehr empfinden, freut es mich, und umso mehr, dass sie dann antworten! Das halte ich für den eigentlichen Sinn von Kunst, dass sie auch andere zum Reden motiviert. Super also Ihr Kommentar! Liebe Grüße!