Thursday, April 19, 2007

ABSCHIED VON DER TATSÄCHLICH WIDERSPRÜCHLICHEN MARIE ZIMMERMANN

Marie Zimmermann (geboren 27. Dezember 1955, Selbstmord am 18. April 2007). Hier in einem Fotoshooting als Schauspiel-Programmdirektorin der Wiener Festwochen, in denen sie sich in letzter Zeit auch zu inszenieren wußte. Foto: © Maria Ziegelböck


MARIE ZIMMERMANN WÄRE BIS 30. JUNI 2007 SCHAUSPIELDIREKTORIN DER WIENER FESTWOCHEN GEWESEN, 2008 KÜNSTLERISCHE LEITERIN DER RUHRTRIENNALE - DASS JEMAND WIE SIE, DER MIT SO VIEL ERFOLG BESCHENKT WAR, SELBSTMORD BEGEHEN KONNTE, HÄTTE NIEMAND GEDACHT. INSBESONDERE NICHT, WER IHR BEGEGNEN DURFTE. - EIN ABSCHIED

Marie Zimmermann hat sich das Leben genommen. Das zu lesen, ist hart. Gerade bei dieser Frau hätte ich das nie gedacht. Als ich sie vor wenigen Jahren zum Gespräch getroffen habe, kam sie mir so entschlossen, beherrschend selbstbewußt vor. Sich das Leben zu nehmen, hat möglicherweise aber mit Selbstbewußtsein zu tun. Mit Entschiedenheit bestimmt. Ich versuche, die Geschichte über David Lynch zuende zu schreiben, die ich angefangen habe. Ihn beschäftigt die Unheimlichkeit. Unheimlich ist mir dieser Tod. Eigentlich müßte er mir helfen, etwas auf den Bildschirm zu bekommen. Er hilft aber nicht. Dieser Tod raubt mir meine Ruhe. Pause. Ich koche mir ein Gericht aus Blattspinat, den ich am Samstag am Naschmarkt gekauft habe. Ein Kilo Spinat reicht für mehrere Gerichte, obwohl er stärker zusammen fällt als jedes andere Gemüse. Ich esse und werde trotzdem nicht fröhlicher. Meistens hilft mir Essen, wenn ich traurig bin. Trauer kommt vom Magen. Genauso wie Kopfweh. Ich behaupte: jede Gemütsverfassung wird durch bestimmte Nahrung hervor gerufen. Das Wetter und die Nahrungsmittel, das sind die Launenmacher. Ich versuche mich an der Lynch-Geschichte. Einen Absatz ringe ich mir ab. Dann kauf ich meiner Schwester ein Geschenk. Sie hat am Sonntag Geburtstag, und wenn ich es heute abschicke, bekommt sie es vielleicht noch rechtzeitig.

WIR STRITTEN ÜBER DEN BEGRIFF DES "HELDEN"

In der ZiB1 bringen sie eine halbe Minute über den Tod. Das regt mich auf, typisch unser Staatssender, wieder mal oberflächlich völlig daneben! Das, wo diese Frau über mehrere Jahre das Wissen der Österreicher an neuesten Theaterformen genährt hat. Sie mochte das Figurentheater, das surreale Tanztheater - genau wie ich. Eigentlich müßte sie dann sehr romantisch gewesen sein, denn das sind Gemüts-Lieb-Fantasie-Theaterformen. - Ich müßte lügen, wenn ich sagen würde, dass mir Marie Zimmermann am Ende unseres Gesprächs restlos sympathisch war. Erbarmungslos. So ist sie mir vorgekommen. Erbarmungslos gegenüber Unwissen, das sie im Status Quo ihres eigenen Wissenstandes einem anderen zuschrieb. Wir hatten damals einen Konflikt über die unterschiedliche Sicht auf Hitler von Menschen ihres Alters im Gegensatz zu Menschen meines Alters. Das Jahr darauf hatte sie dann das 3. Reich als Schwerpunkt im Festwochen-Programm (1934). - Hatte ich in ihr etwa das Bedürfnis geweckt, Leute wie mich sensibilisieren zu wollen? (Es gehört zur Eitelkeit des Journalisten, Entwicklungen als Konsequenzen auf sich und sein Interview beziehen zu können.) - Die Härte kommt nach der Sensibilität: nach zehn Jahren Leiden mit und Anklagen von den Opfern der NS-Zeit und zwanzig Jahren Auseinandersetzung mit den eigenen Ahnen, fängt man an, Hitler verarscht sehen zu wollen, selbst wenn man weiß, dass er für viele Menschen seiner Zeit ein Held und für die Mißbrauchten ein Verbrecher war. Hitler als Helden zu bezeichnen, egal zu welcher Zeit, versetzte Zimmermann in Rage. Für sie war er trotz ihres sonstigen Intellektualismus ein Dämon.

DEPRESSIONEN DES NICHT-ERREICHT-HABENS

In der Regel verfügte sie über eine unglaubliche Gabe, einer Theatergeschichte bis ins Mark nach zu philosophieren, die Motive der Charaktere logisch zu reflektieren, indem sie verwandte Literaten bezüglich ähnlicher Phänomene zitierte. Sie mußte alles verstehen, erklären können. Ich glaube, sie versuchte sich selbst durch die Erklärung, durch ihr gefälltes Urteil, zu erlösen. Ich bin mir noch immer nicht darüber im Klaren, warum mich der Tod dieser Frau so bewegt. Martin Esslin, der bekannte Theatertheoretiker - den ich auf der Uni als Lektor hatte und damit besser kannte als die Zimmermann -, war mein erster Gesprächspartner gewesen, doch sein Tod beschäftigte mich damals weniger. Er starb aber auch sehr alt. Und eines natürlichen Todes. Wenn man sich mit 51 das Leben nimmt und so eine erfolgreiche Frau ist, die auch noch einen namhaften Ehemann hat, der zu ihr steht, ist das für jemanden, der das alles nicht hat, unbegreiflich. "Ein heißes Herz, einen kühlen Kopf und eine glückliche Hand müsse ein Theatermacher haben, meinte sie", steht in der morgigen Presse. Ja, solche strikten Parameter hatte sie sich zurecht gelegt. Schwierige Beziehungslagen in einfachen Kategorien. Leider läßt sich das schwierige Leben aber nicht strikt in den Griff nehmen. Mit Vorsätzen. "Sie litt zuletzt an Depressionen", steht da noch. Und dass sie durch ihren Ehemann, den Intendanten Friedrich Schirmer, zu ihrer Berufung gefunden hätte. - Ja, sie hatte damals auf mich verbittert gewirkt, als sie sagte, dass sie eigentlich gerne Journalistin geworden wäre. Das fand ich komisch, weil ich eigentlich immer gerne im Theater gelandet wäre. Und dennoch war ich zum damaligen Zeitpunkt ganz zufrieden mit mir. Während ich mir von ihr dachte, dass sie "dieses Nicht-erreicht-haben" wahrscheinlich nur so stört, weil sie es sich nicht verzeihen kann, etwas nicht erreicht zu haben. Ich glaubte deshalb so etwas wie Ressentiment mir gegenüber zu spüren, war mir aber nicht sicher, ob diese Aura nicht einfach an ihrer deutsch-distanzierten Natur lag. Dass sie innerhalb der Theaterleidenschaftsbeziehung mit ihrem Mann diejenige war, die "wie ein Schweizer Messer in einen rhetorischen Vernichtungsfeldzug zieht", während er "impulsiv und emotional" würde - wie da weiter aus einem Interview gerade eben erst im April in der Brigitte woman zitiert wird - glaube ich also gleich. Ich glaube, sie wäre distanziert genug für den Journalismus gewesen, leider aber auch zu wenig oberflächlich, zu wenig kurz angebunden. Das ist unser ruhmloser Schutzmechanismus. Denn steigert man sich bei jeder Story so rein, wird man krank...

Für Reflexion und Redefluß ist nur im Internet und in der Kunst Platz. Oder in einem Zimmer, in dem man die Zeit während eines Therapieaufenthalts in einer Hamburger Nervenklinik verbringt, wo sie sich umgebracht hat.

AHNUNG VOM UNERFÜLLTEN KINDERWUNSCH ODER CHEMIE-UNGLEICHGEWICHT

Komisch. Während der letzten Programmpräsentation hatte ich an ihr nichts Traumatisiertes wahrgenommen. Sie hatte wie immer, mit aller Hingabe die Stücke dokumentiert, als wären sie das Wichtigste auf der Welt. Da fällt mir ein Bursch aus meiner Tanzkurs-Zeit mit 17 ein. Er war fesch, sensibel und intelligent, aus einer geschäftstüchtigen Familie. Und einige Jahre später hieß es, er leide an manischer Depression. Er mußte Medikamente nehmen, die sein Gesicht aufschwämmten. Meistens war er aber in Rankweil, in der Nervenheilanstalt. Ich habe nie mehr was von ihm gehört. Ich hoffe, er lebt noch. Bei meinem ersten längeren Arbeitgeber hatten wir ebenfalls einen PR-Schreiber ähnlicher Vergangenheit. Er konnte sich mit Tabletten im Gleichgewicht halten. Ich erinnere mich, dass auch er ein leidenschaftlich politischer Mensch war. Links-gerichtet. Er hatte einen dicken Schmöker geschrieben und einen Verlag dafür gesucht. Ich habe nie mehr was von ihm gehört. Ich hoffe, er lebt noch. 1992 habe Marie Zimmermann ein Kind verloren, wofür sie, hätte es gelebt, ihre beruflichen Ambitionen aufgegeben hätte - steht da kommentarlos. Und plötzlich wird ihre Leidenschaft - aus der Erinnerung, während sie das Programm präsentiert -, ein verzweifeltes Hineinsteigern an eine scheinbar belebte Materie. Ein verzweifeltes Gieren nach hilfesuchenden Kinderschreien. Künstler sind ja auch Kinder. Sie war die letzten eineinhalb Jahre manisch-depressiv, schreibt Der Standard.

Wahrscheinlich würde sie mich jetzt wieder verurteilen, wie und was ich hier zu ihrem Tod schreibe. Denn sie sagte bezüglich ihres Wunschmusters von einer Kritik: "Die erste Offerte an die Leserschaft sei es zu schreiben, was man sieht, und daraus plausible Schlüsse zu ziehen, über die man dann streiten kann. Alles andere ist so elend selbstbezüglich – das geht mir bei Theaterleuten wie bei Kritikern schrecklich auf die Nerven." (Die Presse) - Nun, vielleicht werde ich mir aber genau aus dem Grund nicht das Leben nehmen: weil ich auch über mich schreibe. Denn ich bin nicht wie sie der Ansicht: „Wir sind total überflüssig. Wir sind der Überfluss.“ - Selbst wenn ich ihre Meinung über die Funktion von einer Kritik prinzipiell teile. Das hier ist aber - nebenbei bemerkt - auch keine Kritik.

AHNUNG VOM ABSCHIED ALS HELD

Komisch ist das, wie alle Journalisten, die Marie Zimmermann kannten, ihre Interviews mit ihr nachlesen, nach einem Indiz für ihre Krankheit, ihren Freitod suchend. Ich suche auch. Und finde. Nie hätte man ihre Sätze damals auf sie persönlich bezogen. Wo sie doch scheinbar immer unpersönlich, so gefestigt war. Jetzt ist das etwas anderes, nach diesem Gewaltakt, dieser "Heldentat". Möglicherweise wäre es das im Nachhinein für sie, nachdem sie im Mai 2003 sagte: "Helden sind Menschen, die sich in jeder Situation - sei sie existenziell bedrängend oder nicht - ihre Freiheit bewahren. Wie jene, die am 11. September die Maschine in Pittsburgh zum Absturz brachten. Sie nahmen sich die Freiheit zu entscheiden, obwohl sie wußten, dass sie ohnehin sterben müssen. Ich finde es aber skandalös, dass das nur mit einer Fußnote bemerkt wurde. Ich selbst habe mich nie als Held gefühlt und bin daher nie in die Situation gekommen, mich besonders heldenhaft verhalten zu müssen." - Würden wir wohl darüber streiten, wenn ich sagen würde, "nein, das war nicht heldenhaft"? Selbst wenn ich im Grunde glaube, dass Marie Zimmermann viel zu cool war, um sich wegen dieser Entscheidung nun als Held zu bezeichnen, und doch sagt sie: "Ich habe mich innerhalb der Entscheidungsmöglichkeiten immer entschieden. Und in dem Moment empfindet man keine Bedrückung, die an den Helden gekoppelt ist. Man schreitet ja auch nicht wie ein Hollywood-Star durch sein eigenes Leben." - Wann hat sich nur die Situation ergeben, dass es doch zu einer Bedrückung gekommen ist? Ich hätte Sie gerne gerettet, Marie Zimmermann, so wie ich unlängst eine Amsel rettete, die sich in unserem Stiegenhaus verirrt hatte und nicht mehr hinaus fand. Sie flog wie verrückt gegen die Fensterscheibe am Dach. Ich konnte sie mit meiner Papiertüte in der Hand nicht beruhigen. Erst nach einem halben Tag, einer ganzen Nacht und einem weiteren Tag, schaffte ich es, sie in die Ecke zu treiben und dazu zu bringen, von selbst in den Sack zu kriechen. Ich hoffe, sie war danach nicht zu geschwächt, um weiter zu leben. Ich sah sie zuletzt spätnachts über den Garten im Innenhof hoppeln, nachdem ich sie frei gelassen hatte.
- So bleibt mir als einziges Geschenk an Sie, liebe Frau Zimmermann, dass das hier keine Fußnote geworden ist. - Schlafen Sie sanft.

Und an mich die Hoffnung: hoffentlich fällt mir morgen etwas zum Lynch ein. Ich will ja weitermachen. Überkommen mich Angstattacken, denke ich an die Individualpsychologin Alexandra Adler, die meinte: "Es ist unwahrscheinlich, was ein gesunder Mensch nicht alles ertragen kann." Das stärkt. Und essen werde ich auch. Was werd ich morgen wohl kochen? e.o.


Aus gegebenem Anlaß folgt demnächst ein Gesprächsausschnitt mit Marie Zimmermann und Schauspieler/Regisseur Heribert Sasse zum Thema "Helden" in artists / talks / life

THEATER Das zuletzt kuratierte Schauspielprogrogramm von Marie Zimmermann * Ort: Wiener Festwochen * Zeit: 11.5.-19.6.2007 * link: www.festwochen.at

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