Friday, February 09, 2007

DER FALL "ODEON": TANZ MIT FANTASIE GEWINNT ZWAR DIE HERZEN DES PUBLIKUMS, ABER KAUM DER POLITIK - KOMISCH!

Trotz politischen Drucks und Existenzängsten hat das Serapions-Theater mit Com di com com wieder eine erstaunlich schöne und hoffnungsvolle, wenn auch gleichzeitig beängstigende Performance hingezaubert. Foto © Max Kaufmann


WARUM ROTTET MAN IN OST-ÖSTERREICH AUSGERECHNET DIE BESTEN HEIMISCHEN TANZ-ENSEMBLES AUS? - DAMIT MAN INTERNATIONALE WÄHREND DER FESTIVALS ALS AUSVERKAUFTE VORSTELLUNGEN IMPORTIEREN MUSS? - DAS EINZIGE VERBLIEBENE FANTASIE-TANZTHEATER SERAPIONS HAT ZU KÄMPFEN.
- UND DENNOCH BRACHTE ES WIEDER EINE TOLLE PERFORMANCE HERAUS.


Es ist immer das Gleiche: Da vollbringt jemand über lange Zeit an einem guten Ort eine herausragende Arbeit, und plötzlich kommt ein (neuer) "Vorgesetzter" auf die Idee, den Ort, der auch anderen sehr gut gefällt, vielleicht jemandem von diesen anderen zu überlassen, da der Langzeitarbeiter ja eigentlich für seine Arbeit im Vergleich zu anderen auch viel zu viel Geld benötige.
Auf der anderen Seite empfindet der - sich für seine Arbeit aufopfernde - Langzeitarbeiter seine Arbeitsstätte mittlerweile als so etwas wie seine Heimat, die ihm ,"rein gefühlsmäßig", irgendwann auch "als Besitz" zustehen sollte.

Noch einmal gesteigert wird so ein gewerblicher Alltagsdisput, wenn er sich im Bereich der Kunst abspielt. Denn da geht es wegen der an bestimmte Räume gekoppelten Kunstproduktion um "Identität" und "Einsatz von Herzen", und auf Seiten der Politik um "Verantwortung" und "Gerechtigkeit". Blöd, wenn diese beiden Parteien dann zusätzlich auf persönlicher Ebene keinen guten Draht zu einander haben. - Was offensichtlich bei Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und Odeon-Leiter Erwin Piplitz eingetreten ist, wobei auch ihre politische Parteizugehörigkeit anders zu sein scheint.

OBJEKTIVE BETRACHTUNG IM WIENER FESTWOCHEN-VERGLEICH

Das Odeon zählt zu den schönsten architektonischen Bauten Wiens, ist also (auch als Touristenattraktion) mit Staatsoper und Burgtheater gleich zu setzen. Wie schön wird es aber erst, wenn das darin beheimatete Serapions-Ensemble sein Inneres während seiner Aufführungen zum Strahlen bringt. Diese, sämtliche Kunstgattungen als vollwertig integrierende Artistenfusion ist derzeit nicht nur im Bereich Tanztheater das profilstärkste Aushängeschild Wiens, sondern auch als Kunst-an-sich von einzigartiger Qualität internationalen Niveaus. Locker kann jede Produktion mit einge- und ausverkauften Produktionen ähnlich surreal-fantastischer bzw. bewegungs- und bühnentechnisch präziser Ausrichtung der Wiener Festwochen mithalten: etwa mit den poetischen Theaterzirkus-Performances La Veillée des Abysses von James Thiérée, Grimm von Cahin-caha, The marmaid von Katrine Wiedemann und Tilde Bjørfors, und heuer Circus Istorija - Zirkus der Geschichte von Sonja Vukicevic bzw. Tempest - Der Sturm von Lemi Ponifasio. Oder sogar mit den bereits verscheuchten österreichischen Eigengewächsen: Nicolas Musins abcdancecompany und Giorgio Madias Volksopernballett (Alice, Nudo).

Giorgio Madias Nudo (oben) und Alice (unten, Fotos © Joanna Joy) entstanden durch eine technisch und ästhetisch brillante, österreichische Tanz-Company, die es wie die abcdancecompany nicht mehr gibt. - Was denkt sich nur unsere Kulturpolitik?




La Veillée des Abysses (Fotos © Richard Haughton) von James Thiérée, Cahin-cahas Grimm (Fotos © Armin Bardel) und Mermaid von Katrine Wiedemann und Tilde Bjørfors waren drei der dauer-ausverkauften, importierten Produktionen der Wiener Festwochen, die ähnlich niveau- und fantasievolle Ausrichtungen hatten, wie das heimische Serapionstheater im Odeon.


Dass das Serapionstheater-Ensemble nun wegen einer Negativbilanz im Vorjahr von 725.055 Euro bisher keine Budgetzusage ab Sommer 2007 erhalten hat, ist bezogen auf seine Qualität ungerecht. Denn was dieses Ensemble ein paarmal im Jahr in jeder Produktion erreicht, bekommt man im Tanzquartier vielleicht einmal jährlich präsentiert - wenn überhaupt, selbst wenn dort fast täglich etwas Neues zu sehen ist (meist glaubt man, einer Probe beizuwohnen, aber immerhin finden die Tänzer dort eine geistige Heimat). Die Stadt müßte Qualität wie des Serapions daher umso bewußter fördern, die finanzielle Differenz begleichen, und dazu noch ein ausgelagertes, die Kreativarbeit nicht störendes Marketingteam aufstellen, damit diese Meisterstücke auch endlich das große Publikum zu sehen bekommt, das ein Recht darauf hätte. Denn die Zuschauerreihen sind oft nur halb voll - das wäre also die Lücke, die seitens Politik zu füllen wäre.

NEUE PRODUKTION COM DI COM COM

Dass die Company unter diesen Bedingungen Ende Jänner überhaupt eine Produktion erarbeiten konnte, ist bemerkenswert. Niveau und Zauber sind anspruchsvoll wie eh und je. Doch all der Schmerz, die Wut und die Angst vor übermächtigem Druck und Nicht-Anerkennung liegen im Ausdruck des Stücks, das im Kern vom "Kindsein" des Kunstschaffenden handelt.

Ein Kind ist unschuldig, schutzbedürftig und hilflos, ausgeliefert einer Verantwortungsperson, die ihm hilft, sich zu entwickeln. Es bellen und knurren aber nur bedrohliche Hunde vom Tonband, wodurch sich die Tänzer in erstarrter Angst kaum bewegen, geschweige denn Kunst schaffen können. In spannungsgeladener Lichtsetzung (Michael Illich) verharren sie im Halbdunkeln. Denn gegen was und wen sich konkret zu wehren, ist ihnen schleierhaft. Alles, was hier herrscht, ist Ohnmacht.

Ihre verunsicherte Beklommenheit weitet sich auf den großflächigen Raum aus. Plötzlich türmen sich auf dem Boden liegende, kreisförmige Stoffballen zu Litfaßsäulen bis an die Decke hoch. Die Wände beginnen, sich durch den ganzen Raum zu drehen - bemalte Riesen-Kunstprospekte, die unruhig und schwerfällig tanzen -, während es die Tänzer nicht können. Und doch, langsam wagen sich manche von ihnen zu zaghaften Schritten vor, sie stellen sich der Gefahr und wehren sie in Kung-Fu-Haltungen ab, wie Hirsche prallen ihre Köpfe gegen einander, was sie zugleich fesselnd zusammen schweißt. Ihre schlammfarbigen Kleider, die ihre Körper zuerst bauchig verschluckten, wandeln sich zu schmalen, bunt-bemalten Silhouetten. Jeder Einzelne gewinnt durch das Gefühl des Vereintseins nach der ernsthaften Auseinandersetzung an Selbstbewußtsein, allen voran die Zwillingstänzerinnen Mercedes und Miriam Vargas Iribar in leidenschaftlichem Afro-Butoh. Und mitten drin stolpert Ulrike Kaufmann als "Kind" hintendrein, auf seinem Weg zum erwachsen werdenden, hoffnungsvollen Kunstschaffenden.

Die Kostüme von Ulrike Kaufmann, die Bühne von Max Kaufmann, Tonio Nodari, Thomas Bakalis, Radivoje Ostojic sowie die Prospekte von Brad Holland sind wieder einmal erstaunlich. Der Sound von Regisseur Erwin Piplits paßt wie immer genau zur Handlung und ist akustisch bestens gemischt. Alles wächst in- und auseinander, mit einem Wort, das ist ein bezaubernd schönes Performance-Kunstwerk.

Ulrike Kaufmanns Markenzeichen sind ihre wandelbaren, aufwändigen, stofflich exklusiven Kostüme. Und: In Com di com com ist sie das ewige Kind im Künstler, das unter gegebenen Umständen lange sehr verunsichert - wie erschlagen - hinter den lange ebenso erschreckten Tänzern hinterher tappt. Foto © Max Kaufmann

Circus Istorija - Zirkus der Geschichte (© Vukica Mikaća) ist neben Leo Ponifasios Tempest - Sturm der heurige sicherlich wieder "ausverkaufte" Fantasie-Performance-Import der Wiener Festwochen.

ZIRKUSTHEATER: Au Revoir Parapluie * Von: James Thiérée * Mit James Thiérée, u.a. * Ort: Wiener Festwochen, Halle E, MuseumsQuartier * Zeit: 28.5-1.6.2008, 19h30

TANZPERFORMANCE: Com di com com * Von: Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits * Mit: Serapions-Ensemble * Ort: Odeon Wien * Zeit: 14. bis 17., .23., 24., 30.11 bis 1.12, 5. bis 15., 26. bis 29.12.2007 + 2. bis 5.1. 2008: 20h

PERFORMANCE: Circus Istorija - Zirkus der Geschichte * Von Sonja Vukicevic * Mit Schauspielern und Ballerinas * In serbischer Sprache mit deutschen Übertiteln * Ort: Wiener Festwochen, Halle G, MuseumsQuartier * Zeit: 21.-24.5.2007, 20h30
PERFORMANCE: Tempest - Sturm * Von Lemi Ponifasio * Mit Ensemble Mau * Ort: Wiener Festwochen, Halle G, MuseumsQuartier * Zeit: 16.-19.5.2007, 20h30

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