Roma ore 11, von Giuseppe De Santis 1952 gedreht, zeigt anhand eines Ansturms von 300 Frauen auf die Stelle als Bürokraft, wie schlimm die Armut in den Fünfzigern war. - Und dennoch haben diese Menschen, wie der Film, Klasse.
Ladri di biciclette, von Vittorio De Sica 1948 gedreht, handelt von einem Arbeitslosen, dem das Fahrrad gestohlen wird - und ohne das Vehikel droht ihm, seinen neuen Job wieder zu verlieren.... Ein Kultfilm. Fotos: © Österreichisches Filmmuseum
Ladri di biciclette, von Vittorio De Sica 1948 gedreht, handelt von einem Arbeitslosen, dem das Fahrrad gestohlen wird - und ohne das Vehikel droht ihm, seinen neuen Job wieder zu verlieren.... Ein Kultfilm. Fotos: © Österreichisches Filmmuseum
AM ITALIENISCHEN NEOREALISMUS DER 40-er UND 50-er JAHRE SOLLTEN SICH ÖSTERREICHS "DOGMA"-FILMER EIN BEISPIEL NEHMEN; UND DER ORF AM WIENER FILMMUSEUM!
Eigenartig, wenn man "armes Kino" hört, und es in Bezug zu "Italien" stellt, überkommt einen sofort ein sonniges Gefühl: Ergreifende Schicksale tun sich vor dem geistigen Auge auf, trotz Armut dieser charaktervollen Menschen von interessanter, warmherziger Mentalität. Stellt man das "arme Kino" aber in Bezug zu "Österreich", drängen sich Bilder ungustiösen, hoffnungsverlorenen Proletariermilieus aus dem 21. Wiener Gemeindebezirk auf, wahrscheinlich gedreht von Barbara Albert oder einem anderen österreichischen "Dogma"-Filmer.
Poesie und Klasse auszustrahlen - trotz Arbeiterschicht-Realismus und kleinem Filmbudget - das können tatsächlich nur die Italiener, insbesondere die Filmer des Neorealismus, zu denen hauptsächlich Roberto Rossellini, Vittorio De Sica, Giuseppe De Santis zählen, und in ihren Anfängen auch Luchino Visconti, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni. Sie liegt in den Darstellern, in ihren Gedanken, ihren Handlungen, sowie in den nonverbalen Zwischentönen der Filmatmosphäre. Viel zu kurz läuft daher dieser Themenschwerpunkt im Wiener Filmmuseum. Der ORF sollte sich in seiner Programmatik ein Beispiel nehmen, um endlich seiner Aufgabe als öffentlich-rechtlicher Sender gerecht zu werden, und die Filme übernehmen! Denn dann bekäme auch das österreichische Fernsehpublikum die Chance, "Geschmack" zu entwickeln.
Absolut zu empfehlen sind vorab Riso amaro von Giuseppe De Santis und Bellissima von Luchino Visconti - diese beiden Schmuckstücke waren im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu bewundern: eine insgesamt magere Ausbeute, wenn man bedenkt, wieviele von diesen grandiosen, laufenden Zeitabbildern es gibt.
Eine genauere Beschreibung nun zu folgendem Film:
ROMA ORE 11 VON GIUSEPPE DE SANTIS
Unter dem deutschen Titel Es geschah um Punkt 11 ereignet sich eine konzentrierte Massenpsychologie-Studie der Verzweiflung arbeitssuchender, junger Frauen im Jahr 1952. Auf eine Ausschreibung eines Autoherstellers hin, bewerben sich für die Stellle einer Bürokraft an die 300 bildhübsche Frauen. Sie alle sind mehr oder weniger natürlich schön - nicht so, wie man sie sich im amerikanischen Hollywoodfilm vorstellen würde. Es sind Frauen, die es bitter nötig haben zu arbeiten: Um sich, ihre Männer oder ihre Familien zu ernähren. Denn die Arbeitslosigkeit ist zu dieser Zeit (wie heute wieder) groß.
Dabei schälen sich einzelne Biografien heraus: Ein Mädchen hatte eine Stelle und wurde von seinem verheirateten Arbeitgeber unter Vormachung falscher Liebestatsachen geschwängert und fallen gelassen. Ein anderes ist mit einem Mann verheiratet, der selbst vergeblich Arbeit sucht. Ein Drittes ist eine jüngere Schwester, die sich unterwegs zu ihrem ersten Vorstellungstermin verliebt (und die später umkommt). Ein Viertes ist zu schüchtern, aber auf Druck seiner Mutter als Erste da - die Mutter sorgt auch tatkräftig italienisch dafür, dass es das bleibt. Ein Fünftes hat sein reiches Elternhaus verlassen, um jetzt seinen Künstlerfreund zu unterstützen. - Viele Schicksale also, und sie alle enden im Fall, indem die Stiege im Firmenhaus zusammen bricht, auf der sie zusammengepfercht warten. Nachdem der Firmenboss sagt, er könne nur 40 anhören, die Frauen müßten also unter sich ausmachen, wer lieber gleich wieder nach hause gehen solle, entsteht eine Massenhysterie wie man sie von Konzerten her kennt. Das Gedränge läßt das Geländer und damit die Mauern krachen.
Die Kraft des Filmes besteht darin, dass sich die Not der Armut und der Zwangslage ganz nackt ausdrückt. Die Verzweiflung liegt kalt und offen da, die die Frauen zu Mitteln greifen läßt, die ihnen unter harmonischen Bedingungen zuwider wären, schon da es ihr Anstand verbieten würde. Das schlechte Gewissen macht sich nach dem Tod des einen Mädchens breit, Angst vor Bestrafung krassiert. Und die Tatsache, dass diese Geschichte, ja, selbst einige der Darsteller, echt sind, die Katastrophe also stattgefunden hat - wie es ein Zeitungsartikel belegt - macht die Geschichte noch ergreifender. Alltagsdialoge, realistische Schauplätze, das natürliche Licht zeigen die Italiener mit all ihrer Theatralität und Gefühlstiefe, und mit all ihrem (nationalen) Stolz. - Etwas, das man in keinem österreichischen Film - außer als negative Parodie - finden kann. Und dieser Stolz dieses Volkes, den man in keinem Genre mehr herausgearbeitet hat als im italienischen Neorealismus, macht diese Filme so würdevoll und edel.
LADRI DI BICICLETTE VON VITTORIO DE SICA
Ein Klassiker, der sich um ein Kind, seinen arbeitslosen Vater und ein gestohlenes Fahrrad dreht. - Karten sind schwierig zu bekommen, unsere Reservierte war bereits fünf Minuten vor Beginn verkauft. Deshalb eine halbe Stunde vorher kommen und reservieren!
Nun, beim letzten Anlauf, hat es doch noch geklappt - obwohl der Film wieder ausverkauft war: Der Stolz einer arm gewordenen Familie, speziell des Vaters, sticht hier so hervor, dass es zu Tränen rührt. Denn der wird ihm gebrochen, indem sich die anstandslos-ungebildete, kriminelle Klasse zusammen rottet und wider Recht und Wahrheit gegen ihn aussagt. Da beginnt er selbst zu stehlen... und sein Bub sieht es, der aber alles versteht und umso stärker mit seinem Vater leidet.
Eine geniale Psychostudie, die auch an die Juden-Degradierung unter den Nazis erinnert, indem man sie all ihrer Stellung beraubte, erniedrigte und demütigte.
Eigenartig, wenn man "armes Kino" hört, und es in Bezug zu "Italien" stellt, überkommt einen sofort ein sonniges Gefühl: Ergreifende Schicksale tun sich vor dem geistigen Auge auf, trotz Armut dieser charaktervollen Menschen von interessanter, warmherziger Mentalität. Stellt man das "arme Kino" aber in Bezug zu "Österreich", drängen sich Bilder ungustiösen, hoffnungsverlorenen Proletariermilieus aus dem 21. Wiener Gemeindebezirk auf, wahrscheinlich gedreht von Barbara Albert oder einem anderen österreichischen "Dogma"-Filmer.
Poesie und Klasse auszustrahlen - trotz Arbeiterschicht-Realismus und kleinem Filmbudget - das können tatsächlich nur die Italiener, insbesondere die Filmer des Neorealismus, zu denen hauptsächlich Roberto Rossellini, Vittorio De Sica, Giuseppe De Santis zählen, und in ihren Anfängen auch Luchino Visconti, Federico Fellini, Michelangelo Antonioni. Sie liegt in den Darstellern, in ihren Gedanken, ihren Handlungen, sowie in den nonverbalen Zwischentönen der Filmatmosphäre. Viel zu kurz läuft daher dieser Themenschwerpunkt im Wiener Filmmuseum. Der ORF sollte sich in seiner Programmatik ein Beispiel nehmen, um endlich seiner Aufgabe als öffentlich-rechtlicher Sender gerecht zu werden, und die Filme übernehmen! Denn dann bekäme auch das österreichische Fernsehpublikum die Chance, "Geschmack" zu entwickeln.
Absolut zu empfehlen sind vorab Riso amaro von Giuseppe De Santis und Bellissima von Luchino Visconti - diese beiden Schmuckstücke waren im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu bewundern: eine insgesamt magere Ausbeute, wenn man bedenkt, wieviele von diesen grandiosen, laufenden Zeitabbildern es gibt.
Eine genauere Beschreibung nun zu folgendem Film:
ROMA ORE 11 VON GIUSEPPE DE SANTIS
Unter dem deutschen Titel Es geschah um Punkt 11 ereignet sich eine konzentrierte Massenpsychologie-Studie der Verzweiflung arbeitssuchender, junger Frauen im Jahr 1952. Auf eine Ausschreibung eines Autoherstellers hin, bewerben sich für die Stellle einer Bürokraft an die 300 bildhübsche Frauen. Sie alle sind mehr oder weniger natürlich schön - nicht so, wie man sie sich im amerikanischen Hollywoodfilm vorstellen würde. Es sind Frauen, die es bitter nötig haben zu arbeiten: Um sich, ihre Männer oder ihre Familien zu ernähren. Denn die Arbeitslosigkeit ist zu dieser Zeit (wie heute wieder) groß.
Dabei schälen sich einzelne Biografien heraus: Ein Mädchen hatte eine Stelle und wurde von seinem verheirateten Arbeitgeber unter Vormachung falscher Liebestatsachen geschwängert und fallen gelassen. Ein anderes ist mit einem Mann verheiratet, der selbst vergeblich Arbeit sucht. Ein Drittes ist eine jüngere Schwester, die sich unterwegs zu ihrem ersten Vorstellungstermin verliebt (und die später umkommt). Ein Viertes ist zu schüchtern, aber auf Druck seiner Mutter als Erste da - die Mutter sorgt auch tatkräftig italienisch dafür, dass es das bleibt. Ein Fünftes hat sein reiches Elternhaus verlassen, um jetzt seinen Künstlerfreund zu unterstützen. - Viele Schicksale also, und sie alle enden im Fall, indem die Stiege im Firmenhaus zusammen bricht, auf der sie zusammengepfercht warten. Nachdem der Firmenboss sagt, er könne nur 40 anhören, die Frauen müßten also unter sich ausmachen, wer lieber gleich wieder nach hause gehen solle, entsteht eine Massenhysterie wie man sie von Konzerten her kennt. Das Gedränge läßt das Geländer und damit die Mauern krachen.
Die Kraft des Filmes besteht darin, dass sich die Not der Armut und der Zwangslage ganz nackt ausdrückt. Die Verzweiflung liegt kalt und offen da, die die Frauen zu Mitteln greifen läßt, die ihnen unter harmonischen Bedingungen zuwider wären, schon da es ihr Anstand verbieten würde. Das schlechte Gewissen macht sich nach dem Tod des einen Mädchens breit, Angst vor Bestrafung krassiert. Und die Tatsache, dass diese Geschichte, ja, selbst einige der Darsteller, echt sind, die Katastrophe also stattgefunden hat - wie es ein Zeitungsartikel belegt - macht die Geschichte noch ergreifender. Alltagsdialoge, realistische Schauplätze, das natürliche Licht zeigen die Italiener mit all ihrer Theatralität und Gefühlstiefe, und mit all ihrem (nationalen) Stolz. - Etwas, das man in keinem österreichischen Film - außer als negative Parodie - finden kann. Und dieser Stolz dieses Volkes, den man in keinem Genre mehr herausgearbeitet hat als im italienischen Neorealismus, macht diese Filme so würdevoll und edel.
LADRI DI BICICLETTE VON VITTORIO DE SICA
Ein Klassiker, der sich um ein Kind, seinen arbeitslosen Vater und ein gestohlenes Fahrrad dreht. - Karten sind schwierig zu bekommen, unsere Reservierte war bereits fünf Minuten vor Beginn verkauft. Deshalb eine halbe Stunde vorher kommen und reservieren!
Nun, beim letzten Anlauf, hat es doch noch geklappt - obwohl der Film wieder ausverkauft war: Der Stolz einer arm gewordenen Familie, speziell des Vaters, sticht hier so hervor, dass es zu Tränen rührt. Denn der wird ihm gebrochen, indem sich die anstandslos-ungebildete, kriminelle Klasse zusammen rottet und wider Recht und Wahrheit gegen ihn aussagt. Da beginnt er selbst zu stehlen... und sein Bub sieht es, der aber alles versteht und umso stärker mit seinem Vater leidet.
Eine geniale Psychostudie, die auch an die Juden-Degradierung unter den Nazis erinnert, indem man sie all ihrer Stellung beraubte, erniedrigte und demütigte.
FILM Roberto Rossellini und der italienische Neorealismus * Ort: Filmmuseum Wien * Zeit: bis 8.2.2007
Themenschwerpunkt im März: Vincente Minnelli, Avantgarde: Film und Kubelka * link: www.filmmuseum.at
Themenschwerpunkt im März: Vincente Minnelli, Avantgarde: Film und Kubelka * link: www.filmmuseum.at
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