WIE SICH DER TANZ KLASSIKERN NÄHERT UND WORAUF BALLETT UND ZEITGENÖSSISCHER TANZ ACHTEN MÜSSEN, DAMIT SIE ZUR EIGENSTÄNDIGEN KUNST MIT QUALITÄT WERDEN
Zwei Augenblicke drängen dazu, zwei gänzlich verschiedene Kunstereignisse als Diskussionsfeld heran zu ziehen. Und zwar zur Frage: Wie denn wohl Klassik/er modern interpretiert als eigenständige Kunstform/en Sinn macht/en? Der erste Augenblick prägte sich während der Performance-Aktionskunst-Reihe Wieder und Wider im Museumsquartier ins Gedächtnis: als eine Ballerina, umgeben von drei zeitgenössischen Tänzerinnen, George Balanchines Ballettklassiker Agon parodierten. Die verantwortliche Choreografin, Yvonne Rainer, nannte dieses Stück AG Indexial, with a little help from H.M..
EXZERP: XAVIER LE ROY PARODIERT ZEITGENOSSIN YVONNE RAINER
Zwei Tage davor war Rainer - die dreißig Jahre aktive zeitgenössische Tanz- und Filmlegende des Judson Dance Theatre - selbst von Xavier Le Roy (u.a. in Zusammenarbeit mit Fritz Ostermayer, Alain Buffard, Eszter Salomon) in Continious Project / Altered Daily parodistisch "wiederbelebt" worden. Sie tanzte darin auch mit. Le Roy hatte eines ihrer Werke aus dem Jahr 1970 schon vor sechs Jahren in Angriff genommen, jetzt brachte er seine eigene Fassung noch einmal verändert auf die Bühne.
Generell ging es in diesem Rahmenprogramm um die Frage, wie historische Koryphäen (wieder) aufgeführt werden sollten. Da kein Künstler für die im Schaffungsprozeß unkreative Re-Konstruktion sein kann - die abgesehen davon ja auch unmöglich ist, da jede darstellende Kunst vom Wesen her einmalig und damit flüchtig ist -, waren alle beteiligten Performancekünstler für "Aneignung" von Klassiker-Originalen: im Sinne von Erwartungserfüllung des Publikums und eigenem Durchsetzen der Persönlichkeit. Das zeigten sie großteils indem sie auf Video abgespielte Klassiker in ihre kabarettreifen, live-getanzten Performances einbauten.
Zwei Augenblicke drängen dazu, zwei gänzlich verschiedene Kunstereignisse als Diskussionsfeld heran zu ziehen. Und zwar zur Frage: Wie denn wohl Klassik/er modern interpretiert als eigenständige Kunstform/en Sinn macht/en? Der erste Augenblick prägte sich während der Performance-Aktionskunst-Reihe Wieder und Wider im Museumsquartier ins Gedächtnis: als eine Ballerina, umgeben von drei zeitgenössischen Tänzerinnen, George Balanchines Ballettklassiker Agon parodierten. Die verantwortliche Choreografin, Yvonne Rainer, nannte dieses Stück AG Indexial, with a little help from H.M..
EXZERP: XAVIER LE ROY PARODIERT ZEITGENOSSIN YVONNE RAINER
Zwei Tage davor war Rainer - die dreißig Jahre aktive zeitgenössische Tanz- und Filmlegende des Judson Dance Theatre - selbst von Xavier Le Roy (u.a. in Zusammenarbeit mit Fritz Ostermayer, Alain Buffard, Eszter Salomon) in Continious Project / Altered Daily parodistisch "wiederbelebt" worden. Sie tanzte darin auch mit. Le Roy hatte eines ihrer Werke aus dem Jahr 1970 schon vor sechs Jahren in Angriff genommen, jetzt brachte er seine eigene Fassung noch einmal verändert auf die Bühne.
Generell ging es in diesem Rahmenprogramm um die Frage, wie historische Koryphäen (wieder) aufgeführt werden sollten. Da kein Künstler für die im Schaffungsprozeß unkreative Re-Konstruktion sein kann - die abgesehen davon ja auch unmöglich ist, da jede darstellende Kunst vom Wesen her einmalig und damit flüchtig ist -, waren alle beteiligten Performancekünstler für "Aneignung" von Klassiker-Originalen: im Sinne von Erwartungserfüllung des Publikums und eigenem Durchsetzen der Persönlichkeit. Das zeigten sie großteils indem sie auf Video abgespielte Klassiker in ihre kabarettreifen, live-getanzten Performances einbauten.
Zeitgenosse Xavier Le Roy ist ein Meister der parodistischen Klassik-Nachahmung: ob er nun Yvonne Rainer, Eszter Salomon, Giszelle (in Erwin-Wurm-Manier), den Fußball oder ein Orchester nachahmt. Letztlich deckt er durch äußerliche und bewegungsformale Dubletten und Erweiterungen echte Identitäten zu - und damit auf. (Fotos: © Dieter Ruchel, Katrin Schoof, u.a.)
Le Roy entwickelte konkret einen dynamischen Polstertanz, wo die Darsteller gefährlich schnell, aber weich, durch den Saal rutschten, bzw. eine Raupenformation aus rollenden Körpern, worauf einzelne Tänzer sich fortbewegten. Letztendlich schälte sich der komische Effekt heraus. Die tanz-existenziellen Gedanken Rainers vom Original waren nur noch rudimentär zu erkennen. Mit einem Wort, was da übrig blieb, war: Xavier Le Roy, so analytisch ironisch, wie man ihn kennt.
Die wesentliche Erkenntnis für den Zuschauer war nun aber: dass die zeitgenössischen Tänzer, gerade in Bezug zum Ballett, wovon sie sich einst abspalteten, tatsächlich nur über Distanz bzw. Ironie zur vollwertigen Kunstidentität gelangen können.
YVONNE RAINER WIEDERBELEBT BALLETTKLASSIKER BALANCHINE
Darauf baute auch Rainer: ihre anfangs erwähnte "Annäherung" war neben der Parodie auch eine Würdigung und Analyse. Das hatte den Effekt, dass sich die zuschauenden Ballettfans dachten, wie lächerlich unbeholfen die Zeitgenossen körperlich verglichen mit der Ballerina abschneiden, und sich die Zeitgenossen sagten, wie lächerlich identitätslos die artifizielle Ballerina doch war. Rainer: "Mir geht es genau darum, dass die Zuschauer nicht recht wissen: "Darf ich jetzt lachen oder doch nicht?" Es ist bewußt indifferent gemacht." Ursprünglich hatte Rainer dieses Werk geschaffen, um Tanz (als Kunst?) Menschen zu ermöglichen, die erst im Alter zu tanzen beginnen. Was diese Performance insgesamt aber erst (zeitgenössisch) einigermaßen "kunstvoll" machte, war die theatrale Komponente.
Denn rein vom Tanz her, tanzte die Ballerina sowohl die Klassik (Igor Strawinsky), als auch den Modernen Tanz (Henry Mancini: The Pink Panther) um vieles besser.
Die wesentliche Erkenntnis für den Zuschauer war nun aber: dass die zeitgenössischen Tänzer, gerade in Bezug zum Ballett, wovon sie sich einst abspalteten, tatsächlich nur über Distanz bzw. Ironie zur vollwertigen Kunstidentität gelangen können.
YVONNE RAINER WIEDERBELEBT BALLETTKLASSIKER BALANCHINE
Darauf baute auch Rainer: ihre anfangs erwähnte "Annäherung" war neben der Parodie auch eine Würdigung und Analyse. Das hatte den Effekt, dass sich die zuschauenden Ballettfans dachten, wie lächerlich unbeholfen die Zeitgenossen körperlich verglichen mit der Ballerina abschneiden, und sich die Zeitgenossen sagten, wie lächerlich identitätslos die artifizielle Ballerina doch war. Rainer: "Mir geht es genau darum, dass die Zuschauer nicht recht wissen: "Darf ich jetzt lachen oder doch nicht?" Es ist bewußt indifferent gemacht." Ursprünglich hatte Rainer dieses Werk geschaffen, um Tanz (als Kunst?) Menschen zu ermöglichen, die erst im Alter zu tanzen beginnen. Was diese Performance insgesamt aber erst (zeitgenössisch) einigermaßen "kunstvoll" machte, war die theatrale Komponente.
Denn rein vom Tanz her, tanzte die Ballerina sowohl die Klassik (Igor Strawinsky), als auch den Modernen Tanz (Henry Mancini: The Pink Panther) um vieles besser.
Yvonne Rainer macht ein bewußt doppelironisches Stück über eine Balletttänzerin, die drei postmoderne Choreografinnen (Tänzerinnen) begleiten, während sie George Balanchines Klassiker Agon wiederbeleben. Am Ende lachen die Zeitgenossen über die Klassik, die Ballettfans über die Zeitgenossen. (Fotos: © Andrea Geyer)
OLGA ESINA INTERPRETIERT MODERN-KLASSISCHE ANNA KARENINA VON BORIS EIFMAN
Dieser Gedanke sollte den Zuschauer nun noch ein weiteres Mal beschäftigen, und zwar im zweiten prägenden Augenblick: als sich die Solotänzerin des Wiener Staats- und Volksopernballetts, Olga Esina, während der Premiere des Tolstoi-Literaturklassikers Anna Karenina, nach durchgehend klassisch getanztem Stil in den zwei letzten Szenen plötzlich im Modern Dance versuchte. Pardon, das war kein Versuch, sondern eine großartige Leistung. Wohl hatte sie schon zuvor im klassischen Teil die eine oder andere schwierige, moderne Haltung einfließen lassen, allerdings immer noch im klassischen Grundstil: leicht, beweglich, edel, erhaben: als sehnsüchtige, leidenschaftliche und leidende Anna Karenina. Doch da jene dann einen Opiumrausch durchmachen mußte, erfuhr sie auch tänzerisch und charakterlich den Moment der Verwandlung: sie wurde temperamentvoll, kräftig, hart, intellektuell. Bestechend einprägsam war sie allerdings durchgehend, denn es umgibt sie eine körperliche und bewegungszauberische Aura.
Dieser Gedanke sollte den Zuschauer nun noch ein weiteres Mal beschäftigen, und zwar im zweiten prägenden Augenblick: als sich die Solotänzerin des Wiener Staats- und Volksopernballetts, Olga Esina, während der Premiere des Tolstoi-Literaturklassikers Anna Karenina, nach durchgehend klassisch getanztem Stil in den zwei letzten Szenen plötzlich im Modern Dance versuchte. Pardon, das war kein Versuch, sondern eine großartige Leistung. Wohl hatte sie schon zuvor im klassischen Teil die eine oder andere schwierige, moderne Haltung einfließen lassen, allerdings immer noch im klassischen Grundstil: leicht, beweglich, edel, erhaben: als sehnsüchtige, leidenschaftliche und leidende Anna Karenina. Doch da jene dann einen Opiumrausch durchmachen mußte, erfuhr sie auch tänzerisch und charakterlich den Moment der Verwandlung: sie wurde temperamentvoll, kräftig, hart, intellektuell. Bestechend einprägsam war sie allerdings durchgehend, denn es umgibt sie eine körperliche und bewegungszauberische Aura.
Olga Esina vermengt in der Choreografie Boris Eifmans des Tolstoi-Klassikers Anna Karenina klassisches Ballett mit Modernem Tanz, so dass sie in beiden Richtungen bewunderswert glaubwürdig ist. Hier als Anna und mit dem ebenso expressiven Vladimir Shishov (Wronski). Leider sind die Männertutti, sowie das ganze konventionell erzählte Nummernstück in Ablauf und Schrittplan ein wenig zu platt und kommerziell auf Effekt gemacht.
Auf dem Foto unten mit Kirill Kourlaev (Karenin) samt Ensemble wirkt das besser als im live-Erzählfluß. (Fotos: © Dimo Dimov/Das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper)
Auf dem Foto unten mit Kirill Kourlaev (Karenin) samt Ensemble wirkt das besser als im live-Erzählfluß. (Fotos: © Dimo Dimov/Das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper)
Nur schade, dass das Stück, in dem Olga Esina und ihre ebenfalls ausdruckstarken Co-Solisten (vor allem Vladimir Shishov als Liebhaber Wronski, der etwas zu überzeichnete "Ehemann Karenin", Kirill Kourlaev, starrte beim Tanzen mit offenem Mund zu viel in die Luft) samt technisch exakt expressivem Ensemble "lebten" - insgesamt zu spekulativ kommerziell von Choreograf Boris Eifman aufgezogen ist. Zu viele Videoclip-artige Männer-Tutti, zu schnelle Szenenwechsel, zu großer "Nummerncharakter" ließen das Werk inhaltlich leider oberflächlich werden. Für Gefühle braucht man etwas mehr Zeit. - Giorgio Madias Nummernwerke Nudo und Alice waren während seiner Volksopernballettdirektoren-Zeit weit sensibler und auch schritttechnisch differenzierter: seine Tutti enthielten Kontrapunkte, die Geschichten wurden ironischer und zärtlicher erzählt. Dennoch: nachdem wir im letzten Jahr im Wiener Staatsballett wirklich nur Schrott gesehen haben, ist diese Anna Karenina zur Musik von Tschaikowski (UA war 2005 in St.-Petersburg) geradezu eine Glanzleistung! Und auch endlich mit einem brauchbaren Dirigenten (David Levi)!
DAGMAR KRONBERGER ALS "ANNA", ENO PECI ALS "KARENIN"
Diese Anna Karenina wurde nun am 12.12. in neuer Hauptrollen-Besetzung auf die Bühne gebracht. Eine der rar gewordenen Österreicherinnen im russisch-dominanten Corps, Halbsolistin Dagmar Kronberger, tanzte die Anna Karenina. Da nun aber Anna Karenina einmal Russin ist, traf Olga Esina deren leidenschaftlich-eleganten Charakter doch besser. Dagmar Kronberger arbeitet zu sehr aus dem Kopf und hat - recht muskulös, groß und mit natürlich-bodenständiger Ausstrahlung - den passenderen Körper für akrobatische und moderne Ballette, sowie für Walzer und Mozart. Am besten wirkte sie daher im engen Body-Suit während der popig modern getanzten Drogenwahn-Szene.
Die große Überraschung der Neubesetzung war dagegen der Italiener Eno Peci. Er tanzte den verlassenen Karenin - abgesehen von der technischen Virtuosität - so interessant und mit innerem, positiv zu sehendem Charakterreichtum, dass man sich fragen mußte, wieso Anna diesen höchst begehrenswerten Mann nur verlassen konnte. Noch dazu, da die Neubesetzung des Wronski durch Ivan Popov völlig farblos und nichtssagend war. Außer dass dieser größer als Eno Peci ist und deshalb größenmäßig besser mit Dagmar Kronberger harmonierte, ist über ihn nichts Besonderes zu erwähnen.
Die optimale Besetzung wäre daher Anna: Olga Esina, Karenin: Eno Peci, Wronski: Vladimir Shishov!
DAGMAR KRONBERGER ALS "ANNA", ENO PECI ALS "KARENIN"
Diese Anna Karenina wurde nun am 12.12. in neuer Hauptrollen-Besetzung auf die Bühne gebracht. Eine der rar gewordenen Österreicherinnen im russisch-dominanten Corps, Halbsolistin Dagmar Kronberger, tanzte die Anna Karenina. Da nun aber Anna Karenina einmal Russin ist, traf Olga Esina deren leidenschaftlich-eleganten Charakter doch besser. Dagmar Kronberger arbeitet zu sehr aus dem Kopf und hat - recht muskulös, groß und mit natürlich-bodenständiger Ausstrahlung - den passenderen Körper für akrobatische und moderne Ballette, sowie für Walzer und Mozart. Am besten wirkte sie daher im engen Body-Suit während der popig modern getanzten Drogenwahn-Szene.
Die große Überraschung der Neubesetzung war dagegen der Italiener Eno Peci. Er tanzte den verlassenen Karenin - abgesehen von der technischen Virtuosität - so interessant und mit innerem, positiv zu sehendem Charakterreichtum, dass man sich fragen mußte, wieso Anna diesen höchst begehrenswerten Mann nur verlassen konnte. Noch dazu, da die Neubesetzung des Wronski durch Ivan Popov völlig farblos und nichtssagend war. Außer dass dieser größer als Eno Peci ist und deshalb größenmäßig besser mit Dagmar Kronberger harmonierte, ist über ihn nichts Besonderes zu erwähnen.
Die optimale Besetzung wäre daher Anna: Olga Esina, Karenin: Eno Peci, Wronski: Vladimir Shishov!
BALLETT: Anna Karenina * Autor: Leo Tolstoi * Musik: Peter Iljitsch Tschaikowski * Choreografie, Regie: Boris Eifman * Dirigent: David Levi * In wechselnder Solistenbesetzung! * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 28.1., 19.,25.2.2008: 19h + 18.2.2008: 18h + 5.3.2008: 20h
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